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Peter-André Alt und die Studienanfänger(innen)

2019-06-20 12:19

Eigentlich spricht mir der Präsident der Hochschulrektorenkonferenz aus dem Herzen, wenn er im Interview sagt: "Das Wissen ist wie ein Rohbau, auf dem das restliche Gebäude errichtet wird." (Siehe auch meinen Text zu Bologna und Kompetenzorientierung.)

Dieser Satz scheint mir aber sehr gewagt: "Die Studierenden brauchen zwingend die Fähigkeit, Faktenwissen auch in großen Mengen auswendig zu lernen." Denn zumindest in Mathematik, Physik, Informatik und Elektrotechnik macht man etwas grundlegend falsch, wenn man auswendig lernt. Außerdem wüsste ich gerne, ob es tatsächlich jemand geschafft hat, in die Learning Outcomes einer Modulbeschreibung den Operator "Die Studierenden listen ohne Hilfsmittel auf: ..." hineinzubekommen. Denn die kanonische Meinung ist diese: "Taxonomiestufe 1 genügt [...] in keinem Fall in der Hochschullehre."

Dass Alt als Experte (ja, denn das sagt die Headline "Experte: Viele Abiturienten sind nicht mehr fürs Studium geeignet") nur von gefühlten Entwicklungen und vom Hörensagen berichtet, ist seiner hochrangigen Position in der Wissenschaft nicht würdig: "Da hat es offenbar eine erhebliche Verschlechterung innerhalb der letzten fünf Jahre gegeben." "Auch hier habe ich kritische Rückmeldungen aus den Hochschulen." Statt saubere Untersuchungen anzuführen, gibt er sogar etwas von sich, das wir als widerlegt bezeichnen müssen: "Junge Menschen sind heute sicherlich besser fähig, mehrere Dinge nebeneinander zu tun, als wir es je waren."

Man solle "konsequenter auf den Ganztag setzen" -- ja, aber wenn das mangels Personal oder zwecks Sparen in SOL ausartet und Kinder dann in der Schule statt auf der Straße verwahrlosen, ist dabei nicht viel gewonnen. Man müsste die Uni-Exzellenzmilliarden umlenken. Das wäre doch ein tolles Thema für die Hochschulrektorenkonferenz: Münchner Elite-Unis spenden für bedürftige Grundschulen an Rhein und Ruhr.

Dass Alt vom "Problemviertel einer Großstadt" spricht, lässt mich fragen, was er damit meint. Vielleicht die Parallelgesellschaft, die sich im Viertel mit den schmucken Neubauten verschanzt hat? Siehe auch Cornelia Koppetsch.

"Die jungen Menschen dürfen in der Schule schon ein paar Lernzumutungen mehr erfahren, als es im Augenblick der Fall ist." -- Dieser Satz hat mich an Ortfried Schäffters "legitimen Widerstand gegen Bildungszumutungen" denken lassen, aber auch daran, dass eine "Lernzumutung" unfair ist, für die nicht die gleichen Voraussetzungen geschaffen sind, zum Beispiel, was Sprache, Konzentrationsvermögen, Rückhalt in der Familie und sozioökonomische Sicherheit anbelangt.

Kommentar vom 2019-06-20, 13:45

Grossartige Glosse! In sich häufenden Abiturienten Bashing von hochrangigen Beamten aus Bildungsinstitutionen liesse sich aus psychoanalytischer Sicht möglicherweise auch eine latente Schuldabwehr interpretieren. Eine Lösungfür die Misere könnte das sein, was Sie in Ihrem Umverteilungsvorschlag der Exzellenzmilliarden so schön artikulieren. Ansonsten möchte man bei der Konfrontation von 17-19 jährigen Menschen, Abiturienten mit den Abiklausuren, aber auch den Konflikten innerhalb der Hochschulen offerierten Lernstruktur an Brechts Gedicht "Die Lösung" denken: "..Nach dem Aufstand des 17. Juni
Ließ der Sekretär des Schriftstellerverbands
In der Stalinallee Flugblätter verteilen. Auf denen zu lesen war, daß das Volk
Das Vertrauen der Regierung verscherzt habe
Und es nur durch verdoppelte Arbeit
zurückerobern könne. Wäre es da
Nicht doch einfacher, die Regierung
Löste das Volk auf und
Wählte ein anderes? "

Kommentar vom 2019-06-20, 16:20

Interessant wären auch Forschungsergebnisse, die nicht nur die Bildungsentwicklung von Schülern nach Klassenhintergrund , sondern auch den weitergehenden Erfolg von MINT Fach Studierenden verschiedener sozialstruktureller "Milieus", oder "Parallelgesellschaften", mit den für diese spezifischen Bildungs & räumlichen Ressourcen analysieren ! Hat jemand einen Hinweis? ;-)

Kommentar vom 2019-06-20, 17:33

@Kommentator(in) von 16:20: Ich kann mich nur an eine ältere Studie zum Thema erinnern, wer eine Professur bekommt. Müsste ich suchen. Wenn jemand da mehr weiß, dann sicherlich Aladin El-Mafaalani (inzwischen in NRW im Ministerium). Siehe auch: https://www.youtube.com/watch?v=9KvDU89SBZw
J.L.

Kommentar vom 2019-06-20, 21:40

Klar, er erwähnt den wunderbaren geschätzten Michael Hartmann, bei Min 23, der die Biographischen Verläufe von MINT´ lern untersucht hat. https://www.komm-mach-mint.de/MINT-News/News-Archiv/soziale-Aufstieg-ueber-die-Ingenieurwissenschaften

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