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Griechisch-lateinisches Handicap in der Mathematik

2019-06-25 17:52

Jüngst habe ich einem Lehrer geraten, bei der Arbeit mit dem Satz des Pythagoras statt der Buchstaben a, b, c viel häufiger die Rollen der Seiten zu nennen: Kathete, Kathete, Hypotenuse. Es kommt auf die Rollen an, nicht auf die Buchstaben! Aber zwei Sekunden später ist mir aufgefallen, dass ich mich sogar selbst immer wieder an die Eselsbrücke erinnern muss, dass in jedem dieser Wörter genau ein Buchstabe "h" vorkommt. ("Wie, bittschön, kann man denn das nicht verinnerlicht haben, junger Mann?", werden die geneigte Leserin und der geneigte Leser mich fragen. "Den Unterschied zwischen θ und τ hat man doch wohl schon in der Sexta gelernt!")

Also: Nicht nur die mathematischen Inhalte sind zu lernen und hoffentlich zu verstehen, sondern wir triezen unsere Schülerinnen und Schüler obendrein noch mit einem buchstäblich antiken Vokabular. Ich beeile mich hinzuzufügen: Nein, ich will nicht das Fach Altgriechisch vor die elementare Geometrie legen und ich will nicht die Fachbegriffe deutschtümelnd übersetzen ("Gesichtserker", was wohl nie jemand ernsthaft vorgeschlagen hat). Ich will nur sagen, dass mir klar geworden ist, wie weit weg das Vokabular der Mathematik vom Alltag der meisten Schülerinnen und Schüler ist. Fast zwangsläufig schleppen wir Jahrtausende an Europa mit. Das will im Unterricht beachtet und gewürdigt sein.

Diese Gegenüberstellungen machen vielleicht klarer, was wir mit Griechisch und Latein (teilweise via Englisch) sagen, was aber anderswo mit ganz normalen Wörtern gesagt wird:

Kathete: 直角边 (Rechter-Winkel-Seite)

Hypotenuse: 斜边 (Schräg-Seite)

Arkussinus: 反正弦 (Umgekehrt-aufrecht-Sehne)

Funktion: 函数 (Umschlag-Zahl)

Exponentialfunktion: 指数​函数 (Zeige-Zahl Umschlag-Zahl)

Logarithmus: 对数 (Entgegengesetzt-Zahl)

Determinante: 行列式 (Zeile-Spalte-Formel)

Dass die Zahlen im Deutschen lernunfreundlicher sind als anderswo, haben andere schon zu Genüge gesagt. Aber zur Erinnerung:

Zwölf: 十二 (zehn-zwei)

Dreiundzwanzig: 二十三 (zwei-zehn drei)

Vielleicht freunde ich mich doch noch irgendwann mit dem Wort "aufleiten" an. Aber nie mit der "if-Schleife"! Nie!!

[Nachtrag: Ich verstehe den Begriff "Handicap" hier in traditioneller, nicht-poststrukturalistischer Lesart, zum Beispiel nach Duden oder DWDS.]

Kommentar vom 2019-06-25, 18:29

Bezüglich der Sprechweise der Zahlen gibt es auch einen Verein, der sich auf dem Thema engagiert:
https://de.wikipedia.org/wiki/Zwanzigeins

Kommentar vom 2019-06-25, 18:41

@Kommentatorin oder Kommentator von 18:29: Ja, aber das halte ich für aussichtslos. Da könnte man auch versuchen, die QWERTZ-Tastenanordnung durch etwas Ergonomisches zu ersetzen oder in der Schulphysik den Impuls als strömende Flüssigkeit zu modellieren (wie das in QFT und ART selbstverständlich ist): "Karlsruher Physikkurs".
J.L.

Kommentar vom 2019-06-26, 14:09

Junger Mann wird man der Ettikette halber, nun nicht unbedingt zu Ihnen sagen, selbst wenn man ein verstaubter Altphilooge mit einer 7 Leute umfassenden Semiotik bei Hesiod Vorlesung ist.

Kommentar vom 2019-06-26, 14:38

@Kommentatorin oder Kommentator von 14:09: Nicht der Etikette halber, sondern der Abwertung halber. Ich erhalte ich diesen Titel gerne mal in der eng besetzten U-Bahn.
J.L.

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