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Bildungsexpansion oder -inflation?

2020-02-26 12:16

Endlich habe ich den Rant von Hans Peter Klein gelesen: Abitur und Bachelor für alle – wie ein Land seine Zukunft verspielt. Allerdings glaube ich, dass er eher die Zunahme der Breite belegt als ein potenzielles Wegbrechen der Spitze. Der größte Effekt der Bildungsexpansion könnte ja darin bestehen, dass die Arbeitgeber nun mehr Arbeit (pun intended) haben: Sie können nicht mehr simpel nach den erworbenen Bildungstiteln gehen, sondern müssen nachsehen, von welcher Institution oder sogar von welcher Doktormutter bzw. welchem Doktorvater die stammen. Andererseits gibt es sowieso viel verlässlichere Signale als die Bildungstitel, zum Beispiel, wo und wie lange man welche Studien und Praktika im Ausland absolviert hat, was das Handicap im Golf ist, ob das Mandarin akzentfrei ist usw.

Gut bemerkt ist, dass in Selbstständigkeitserklärungen inzwischen auch das weit interpretierbare "ohne _unzulässige_ fremde Hilfe" (Hervorhebung durch J.L.) steht (S. 95). Ein Tutor für 100 Studierende (S. 158) – das mag ich gar nicht glauben? Ich höre eher, dass Tutorien so schlecht besucht sind, dass man von 1:1-Betreuung sprechen kann.

Kleins abschließendes 15-Punkte-Programm (S. 182ff) sieht für mich so aus, als ob es die derzeit notdürftig kaschierte Verteilung von Bevorteilungen und Benachteiligungen wieder offensichtlich machen will und ein Test-Regime einführen will – wovon die Kinder mit den "richtigen" Eltern profitieren.

Der Erheiterung halber zitiere ich hier noch aus einem Werk eines anderen Autors (Genaueres dazu des Effekts halber erst weiter unten): "Wenn man einmal unterstellt, daß die Zahl der Studierenden mit unzureichender Selbstregulierungsfähigkeit für geistige Arbeit, mit ungenügender Leistungsmotivation erheblich zugenommen hat; wenn man bedenkt, daß die Motivierung und Sachinteresse ungenügend anregen und fördern, dann kann man unsere sog. 'Studienreform' als einen Reflex dieser Zustände begreifen. Studienpläne strukturieren den Studiengang uniform für alle." (S. 102) "Es gilt, möglichst den gesamten Pulk der Studierenden in geschlossener Formation über den Atlantik des Studiums zu bugsieren." (S. 102) "Nicht nur der Anteil, sondern bei der wachsenden Studentenzahl auch die absolute Häufigkeit von ungünstiger oder unzureichender Studienmotivation ist [sind? J.L.] wahrscheinlich erheblich angestiegen." (S. 101) "In Nordrhein-Westfalen z. B. treten bereits mehr als 22 Prozent eines Altersjahrgangs von der Grundschule in das Gymnasium über." (S. 101) "Der Anteil der sog. Arbeiterkinder hat an der Ruhr-Universität 13 Prozent erreicht." (S. 101) Die Zitate stammen aus: Heinz Heckhausen. Zur Bedeutung moderner Lernmotivationsforschung für die Hochschuldidaktik, in: von Hentig / Huber / Müller, Wissenschaftsdidaktik: Referate und Berichte von einer Tagung des Zentrums für interdisziplinäre Forschung der Universität Bielefeld am 11. und 12. April 1969.

Kommentar vom 2020-02-29, 11:16

Also ist es ein Buch, dass die Positionen von bildungsbürgerlichen Rechten oder Liberalen stärken will, die nicht die finanziellen Mittel haben, die Kids aus dem proletarisierten Pulken D-Lands gleich an Unis über den Atlantik oder an sonstige Elitehochschulen zu schicken? So liest sich ihre Rezension, obgleich Ihr Zynismus etwas verhalten wirkt ... Für die Tutorien aus der Physik kann man von der GU Frankfurt sagen, dass die von vornherein bei der Anmeldung schon auf 10-15 beschränkt sind; meist sind am Ende laut Infos bekannter Tutoren um die 6 Leuten präsent. Aus Statistik für Soziologen weiß ich, dass es zu wenig Tutoren gibt und am Anfang die Kurse etwas voller sind. Das kann sich eventuell demnächst gravierend ändern, weil Tutor in einer Stadt mit derartig vielfältigen Jobmöglichkeiten ein grottenschlecht bezahlter Job ist.

Kommentar vom 2020-02-29, 17:08

@Kommentator(in) von 11:16: Ob der Autor diese Positionen stärken _will_, vermag ich nicht zu sagen. Ich finde nur, er sollte diese Nebeneffekte mehr in Betracht ziehen. J.L.

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