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ELIZA 4.0 in China

2021-01-19 20:47

Bisher habe ich immer gesagt, dass kein Mensch über längere Zeit so naiv sein wird, mit einem Chatbot zu kommunizieren. 小冰 ("kleines Eis") scheint mich aber eines Besseren zu belehren, zumindest im chinesischen Kulturkreis. (Vorsicht mit dem Link: Die abgebildeten Chat-Nachrichten sind nicht NSFW.)

Wo ich das so tippe, wird mir soeben klar, dass ich für YouTube und vor Zoom ja sogar mit mir selbst rede – und hier sogar ohne Kommunikationspartner*in schreibe. Wie irre.

Kommentar vom 2021-01-20, 00:10

Beeindruckend. Ich finde "naiv" aber etwas zu hart geurteilt, als wüssten die Nutzer gar nicht, was mit ihnen geschieht. Es kann aber ja auch sein, dass sie sich absolut freiwillig, komplett mit Absicht in diese Illusion der warmherzigen Freundin hineinbegeben wollen. Der Chat ist dann umso aufregender, je mehr man das Spiel mitspielt und zusätzlich aktiv (!) verdrängt was man im Hinterkopf schon eigentlich weiß, nämlich dass das eigentlich nur ein Chatbot ist.
Dieses Phänomen (sich willentlich einer Illusion ihretwegen hinzugeben) gibts sicherlich schon irgendwo ausführlich beschrieben, aber ich habe es über diesen schönen NYT-Beitrag gefunden (How Wrestling Explains Alex Jones and Donald Trump, https://www.nytimes.com/2017/04/25/opinion/wrestling-explains-alex-jones-and-donald-trump.html), den ich sehr bereichend fand, auch weil das für mich ein weiterer Baustein dafür war, warum immer noch so viele Leute an einen Gott glauben (wollen).

Kommentar vom 2021-01-20, 00:12

(Bei den NYT-Artikeln brauche ich meisten zwischen zwei und fünf Versuchen, bis ich die Seite im richtigen Moment abgebrochen habe, damit der Artikel schon geladen ist, aber die Werbebanner noch nicht – eine der größten Zeitungen der USA – wer programmiert sowas?)

Kommentar vom 2021-01-20, 10:05

Dann ist vielleicht der Weg zur KI für den Online-Mathe-Unterricht doch nicht so weit. Letztendlich gibt es für Mathematik 1 nur endlich (oder meinetwegen abzählbar) viele Aufgaben und die KI braucht zur Auswahl der richtigen Musterlösung bzw. der nächsten passenden Aufgabenstellung auch kein tieferes Verständnis der eingereichten Lösung, sondern nur eine hinreichend treffende Vermutung, welchen Stand der Einreicher wohl am ehesten erreicht hat. Jedenfalls hat man diesen Eindruck, wenn man mal 120 Anfängerklausuren korrigieren musste.
Gruss dg

Kommentar vom 2021-01-20, 11:00

@Kommentator*in von 00:10: Das Videointerview auf der besagten Seite lässt mich diese Erklärung zumindest in dem gezeigten Einzelfall anzweifeln. J.L.

Kommentar vom 2021-01-20, 11:03

@Kommentator*in von 00:12: Vielleicht Absicht. So hatte SPIEGEL ONLINE (oder hat noch immer?) eine supersimple Buchstabenverwürfelung der paywalled Artikel. J.L.

Kommentar vom 2021-01-20, 11:12

@dg von 10:05: Abzählbar unendlich ist aber immer noch unendlich. Und selbst, wenn man sagt, jede Aufgabe hat maximal 200 Zeichen LaTeX, ist die dann zwar endliche Zahl immer noch mehr als astronomisch. Das Argument könne aber sein, dass es nur überschaubare viele Muster von Aufgabenstellungen gibt. Siehe auch das neuerdings erfolgreiche Finden von Stammfunktionen per Deep Learning. – Ich würde hier aber zuallererst wieder fragen wollen, ob die Lernenden wirklich so naiv wären, auf den ELIZA-Effekt hineinzufallen. Wollen sie nicht wissen und spüren, dass sich wirklich jemand hinsetzt, ihre/seine Lebenszeit opfert und 120 Klausuren korrigiert? (Wobei die Korrekturen dann praktisch niemanden interessieren, just saying.) Ähnliches Wertschätzungs-Phänomen auch bei Videos, wenn man sie selbst gemacht hat oder eben nicht selbst gemacht hat. J.L.

Kommentar vom 2021-01-20, 21:48

@J.L. Ja, das ist ein sehr gutes Argument. Ich erinnere mich, dass die in den Emiraten entwickelten Roboter-Jockeys floppten, weil die Renn-Dromedare zu schnell rausbekamen, dass die zwar alles konnten, was auch echte Reiter im Rennen machten, aber nicht zu Wutausbrüchen fähig sind und daher gefahrlos ignoriert werden können.
Vielleicht würde es aber auch schon ausreichen, wenn wir 12 von 120 Klausuren korrigierten und der Rest die KI macht, so dass nur eine gewisse Wahrscheinlichkeit besteht und der Student sich wertgeschröpft fühlt – tatsächlich korrigiert ja die Korrektur nicht wirklich jemanden. Man sollte die Homöopathie nicht gleich mit dem Bade ausschütten, nur weil sie für die medizinische Anwendung nicht taugt.
Gruss dg

Kommentar vom 2021-01-22, 11:26

@dg: Ich wollte sowieso mal was dazu schreiben (oder habe ich das schon?), dass ich glaube, meine Studierenden würden bedeutend mehr lernen, wenn ich hin und wieder unvorhersehbar ausrastete und/oder in Tränen ausbräche. Meinen bisherigen Zen-artig gleichmütigen Unterrichtsstil könnte wirklich auch ein Computer erledigen. HAL 9000 wäre ein Kandidat dafür. J.L.

Kommentar vom 2021-01-22, 15:56

@J.L. Das schaue ich mir gerne an! Nach der Theorie bringen ja ἔλεος und φόβος die größte κάθαρσις.

Kommentar vom 2021-01-23, 01:13

Das mit den Roboter-Jockeys klingt hier aber ganz anders: https://en.wikipedia.org/wiki/Robot_jockey

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