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Sandel – The Tyranny of Merit

2021-04-17 21:07

Harvard zum Zweiten: Michael Sandel (of HarvardX "Justice" fame, falls sich noch jemand an die sogenannten MOOCs erinnert) erklärt in seinem aktuellen Buch, dass das mit der Meritokratie erstens nicht so ganz stimmt (denn natürlich kommt man fast nur mit den "richtigen" Eltern an eine US-Elite-Uni) und dass zweitens sowohl die Leute "oben" wie auch die "unten" unter der Meritokratie leiden.

Der zweite Punkt, die Sache mit dem Leiden, mag auf den ersten Blick überraschend sein. Aber die "oben" kriegen die Studienplätze nun oft nicht mehr geschenkt, sondern müssen wie die Irren dafür ackern (weshalb sie fälschlicherweise glauben, ihr Erfolg sei ganz allein ihr eigener Verdienst). Und die "unten" gelten dank (scheinbarer) Meritokratie nun als selbst dafür verantwortlich, dass sie es nicht geschafft haben. Das Pech, die "falschen" Eltern gehabt zu haben, zählt nicht mehr. Diese Verachtung durch die "oben" (was die Vertreter*innen von früher als arbeiter*innennah geltenden Parteien einschließt) zeige die zu erwartenden politischen Gegenreaktionen.

Anderswo hier auf dem Blog hatte ich geschrieben: "Der Hauptjob des Bildungssystems ist es vielmehr, Lebens-Chancen zuzuteilen und diese Zuteilung als gerecht – nämlich meritokratisch – erscheinen zu lassen (siehe das Konzept 'heimlicher Lehrplan')." Mir scheint, Sandel würde dem zustimmen: "The rise of the comping [Harvardisch für: engaging in competition] culture illustrates the conversion of college into basic training for a competitive meritocracy, an education in packaging oneself and applying for stuff. This in turn reflects a broader shift in the role of colleges and universities: their credentialing function now looms so large that it overwhelms their educational function. The sorting and striving crowd out teaching and learning." (S. 182)

In der ersten Hälfte des Buchs nerven die vielen Statistiken, welcher US-Präsident was wie häufig gesagt hat. Und insgesamt wird mir nicht klar genug, dass es Aufstieg für die einen nur dann geben kann, wenn es Abstieg für die anderen gibt. Das ist aber ein riesiges politisches Problem: Welche Eltern mit Ivy-League-Abschluss würden ihre Kinder bei Walmart an der Kasse sitzen lassen, außer mal als kurzes Praktikum zur Warnung vor dem wahren Leben da "unten"?

Der einzige politisch gangbare Weg (der im Buch nicht so wirklich vorkommt) scheint die endlose Bildungsexpansion. Aber wenn irgendwann alle einen Doktor*innen-Titel haben, werden sie merken, dass plötzlich wichtig wird (oder immer schon wichtig war), ob man eine*n Nobelpreisträger*in im Promotionskomitee hatte (alternativ bei den aufkommenden Industriepromotionen die*den Entwicklungsleiter*in eines Weltkonzerns), ob man drei Jahre lang 24/7 vor Ort in München – oder besser noch Zürich – durchgearbeitet hat (oder wie viel man in den Zweigstellen des Konzerns auf fünf Kontinenten unterwegs war) usw.

Kommentar vom 2021-04-18, 01:50

Haben Sie eine Buchempfehlung für das Thema Meritokratie, welches im Idealfall auch Lösungsansätze aufzeigt? Vielen Dank vom Nordlicht

Kommentar vom 2021-04-18, 09:50

@Nordlicht: Leider nein. J.L.

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