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Mal eine Dissertation zum E-Learning

2022-03-06 19:45

Um mich von den großen Dramen der Weltgeschichte abzulenken, habe ich mir heute mal ein kleineres Drama angesehen – eine aktuelle Dissertation zur Entwicklung eines E-Learning-Konzepts, für die es einen Doktortitel in Wirtschaftswissenschaften gab, ohne dass Inhalte der Wirtschaftswissenschaft für mich erkennbar in der Dissertation vorkämen.

So lief die Entwicklung ab: "Das Vorgehen beim Software Engineering umfasst dabei die Grobphasen der Situationsanalyse, Anforderungsanalyse, Konzeption und Umsetzung." (S. 10) Ebenso am Ende der Arbeit: "1. Vorbereitung; 2. Einführung; Lehrform ist integriert; 3. Produktivbetrieb; 4. Evaluation" (Abb. 50 auf S. 175). Also das Wasserfallmodell wie vor 50 Jahren, keine Rede von menschzentrierter Entwicklung und iterativem Vorgehen. Wird schon alles so klappen, wie wir uns das erträumt haben!

Aber nicht mal eine Umsetzung im üblichen Sinne gibt es – geschweige denn einen Test. Denn: "Im Rahmen der exemplarischen Umsetzung wird ein Bachelor-Studiengang Wirtschaftswissenschaften an einer fiktiven deutschen Präsenz-Universität betrachtet." (S. 152) In der Arbeit scheinen vielmehr einfach nur irgendwelche Kästchen mit Modulen schematisch aufgemalt (etwa S. 104). Vielleicht kann man genauso irgendwelche Rezepte der Alchemie aufmalen.

Dass "Lerntypen" erstens überhaupt und zweitens ohne jegliche kritische Einschätzung vorkommen (S. 93), überrascht mich nicht. Und dann noch viele unbelegte Behauptungen wie diese: "Weder E-Learning noch Präsenzlehre ermöglichen aktuell eine kompetenzorientierte Qualifizierung heterogener Studierendengruppen großer Studienfächer" (S. 88) "Fähigkeiten mit asynchronem E-Learning zu vermitteln ist schwerlich umsetzbar, da kaum ein Diskurs stattfinden kann" (S. 88f) "Die Studierendenschaft fordert verstärkt, den Anteil an ELP ["E-Learning-Produkten", Anm. J. L.] in einem Studiengang zu erhöhen." (S. 102)

Incentives mit und ohne Geld (S. 198f) ohne ein Wort zu deren korrosiver Wirkung. – WBTs und Wikis scheinen mir schon länger nicht mehr Stand der Technik zu sein. – "Eine Lizenz für Microsoft PowerPoint kostet 135 Euro" (S. 182) scheint mir im Bildungsbereich nicht korrekt zu sein.

Kommentar vom 2022-03-07, 07:41

Kleiner Tippfehler: "Aber nicht mal ..." statt "Aber nicht man ..." (M.M.)

Kommentar vom 2022-03-07, 09:30

@M.M.: Danke, korrigiert! In den Worten meiner Student*innen: "Das war aber nicht rot unterkringelt?!?" ;-) J. L.

Kommentar vom 2022-03-07, 19:56

Was macht man (in diesem Fall frau) mit/nach einer solchen Dissertation? Eine DOI hat die Arbeit zumindest erhalten, auch wenn sie nicht für die Verlinkung genutzt wurde. ;)
Eine ganz andere Frage: Würden Sie solche Doktorarbeiten auch betreuen bzw. betreuen Sie momentan eine?
Viele Grüße!

Kommentar vom 2022-03-07, 21:12

@Kommentator*in von 19:56: Alle paar Jubeljahre mache ich den Zweitgutachter für eine Dissertation. Als FH-Prof kann ich ja nicht Erstbetreuer sein. Und Vorsicht mit solchen Ansinnen: Ich habe inzwischen keine Scheu mehr davor, "rite" unter so ein Gutachten zu schreiben. J. L. – Ach, und dies noch: Wenn man einen DOI haben will, kann man einfach was bei ResearchGate hochladen. Das erinnert mich daran, dass gerade die Konferenzen, die mit "der Tagungsband hat eine ISBN" werben, typischerweise bogus sind.

Kommentar vom 2022-03-08, 01:15

Mein Zusatz zur DOI bezog sich weniger darauf, dass die Dissertation dadurch irgendeine Form der Aufwertung erfährt, sondern eher auf die Tatsache, dass Sie diese nicht für die (persistente) Verlinkung nutzen. ;) Aber vielleicht ist das in einigen Jahren, wenn die URL evtl. nicht mehr "bedient" wird, weil sich die dahinter liegende Webapp geändert hat, auch gar nicht so schlimm.
Würden Sie denn gern, wenn Sie es könnten, auch Erstbetreuer einer Diss. sein?

Kommentar vom 2022-03-08, 09:06

@Kommentator*in von 01:15: Genau, es ist besser, wenn das Netz doch über manches das Gras wachsen lässt. Außerdem ist die vermeintliche Persistenz per DOI nur Augenwischerei: Wenn der Verlag (oder hier die Uni) ihren Server auf-, um- oder abräumt, ist das Dokument oder zumindest der Link weg, ob mit oder ohne DOI. Welche Uni-Bib hätte das Personal, um die Link-Daten für ihre alten DOIs upzudaten? – Die Frage, ob ich Erstbetreuer sein möchte, wenn ich es könnte, ist mir zu hypothetisch. J. L.

Kommentar vom 2022-03-10, 12:13

@J.L., also wir bieten diesen Service in unserer Unibibliothek. ;) Wenn wir DOIs in unserem Namensraum registriert haben, die auf URLs von Service x "zeigen", dann passen wir die zu den DOIs hinterlegten URLs an, wenn wir Service x durch Service y ersetzen. Eigentlich ist das die Verbindlichkeit, die man eingeht, wenn man als Service Provider DOIs in die Welt setzt. Haben Sie etwa andere Erfahrungen mit DOIs sammeln müssen?

Kommentar vom 2022-03-10, 13:25

@Kommentator*in von 12:13: Es ist halt keine technisch garantierte Persistenz (was viele Leute anzunehmen scheinen), sondern ein Versprechen plus Handarbeit. Wenn sich die aktuelle, durch Open Access bedingte, Aufmerksamkeit legt, werden auch die (Projekt?-)Mittel für die Pflege wieder versiegen und DOIs genau so vor sich hin rotten wie bisher Instituts-Webseiten, Animationen in Flash, zehn Jahre alte MOOCs usw. Nebenbei können und werden Verlage und Konferenzveranstalter dicht machen; die Liste der Prefixes sieht für mich danach aus, als ob nicht alle der dort gelisteten Entitäten sehr langlebig sein werden. Was zum Erforschen: Wie viele davon gibt es schon jetzt nicht mehr? Müsste man überhaupt die russischen Institutionen und Verlage streichen? Nebenbei: Blockchains mit Zertifikaten sind ähnlich gelagert. J. L.

Kommentar vom 2022-03-10, 16:28

@J.L. vielen Dank für Ihre Rückmeldung! Wie Sie zur Bibliometrie und Forschungsinformationssystemen zur Vermessung des wissenschaftlichen Outputs (Kerndatensatzforschung et al.) stehen, traue ich mich Sie fast gar nicht zu fragen.

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