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Die Blog-Postings sind Kommentare im Sinne von § 6 Abs. 1 MStV. Der Verfasser ist Jörn Loviscach, falls jeweils nicht anders angegeben. Die Blog-Postings könnten Kraftausdrücke, potenziell verstörende Tatsachenbehauptungen und/oder Darstellungen von Stereotypen enthalten. Die Beiträge der vergangenen Wochen werden als Bestandteil der Internet-Geschichte in ihrer ursprünglichen Form gezeigt. Menschliche Autor*innen können unzutreffende Informationen über Personen, Orte oder Fakten liefern.

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Apologien des menschlichen Verstehens

2022-12-14 09:47

Ob die Philosoph*innen jemals verstehen werden, dass auch wir Menschen nichts "verstehen"? (Das lernt man als Mathe-Prof an einer Noch-FH auf die harte Art.) Und dann dies: "We can investigate the world directly, with our own eyes and ears." (S. 3) Was kommt denn beim Hirn an? Komische elektrochemische Spikes, für deren Interpretation es sich mal im Säuglingsalter ein Modell zusammengereimt hat.

Talking About Large Language Models

Deutlich progressiver scheint mir die Strömung, die meint, dass man Roboter*innen zumindest einige der Menschenrechte zuerkennen muss.

Beim Thema Philosoph*innen muss ich gerade an Folgendes denken; weiß auch nicht, warum: Man kann neuerdings mit Herrn Precht chatten, über Pandemien, Invasionen und so. Wenn der Server nicht überlastet ist.

Kommentar vom 2022-12-14, 21:00

Da freue ich mich eh schon drauf, dass der menschlichen Intelligenz langsam die "Magie" oder "Übernatürlichkeit" weggenommen wird, die ihr viele wohl (bis heute) noch zuschreiben. Da tragen die Informatiker plötzlich - beinahe nur als Nebenprodukt- mehr zur Klärung bei als die ganzen Philosophen bisher.

Kommentar vom 2022-12-19, 10:59

Als erstes müsste man einmal den maximal Prächtigen hier herausnehmen, weil man es im Fall dieser Person wohl eher mit einem Literaturwissenschaftler zu tun hat, der so ein bisschen auch Vorlesungen hält und aber im Wesentlichen eben prächtig ist.
Ich finde, einigen Mathematikern sollte man auch weiterhin ruhig noch einige der Menschenrechte zuerkennen :).
Was aber gar nicht geht, ist zu behaupten, dass menschliches "Verstehen" sich im Propositionalisieren erschöpfen würde. Oder wo genau ist da die Proposition versteckt, wenn jemand wie Hoyningen-Huene davon spricht, dass man zunächst einmal ein Gefühl entwickle, wenn es um irgendwelche Beweise geht, also so etwas wie Hineinfühlen etc. Leider ist aber das o.g. Missverständnis sinnbildlich für unseren Zeitgeist (Was ist das jetzt wieder? Ganz ohne Spikes? Kann man ja gar nicht verstehen?) der nur noch propositional zergliedernden Weltsicht. An dieser Stelle könnte dann auch gern ganz klassisch "Was Mary nicht wusste" zitiert werden.

Kommentar vom 2022-12-19, 12:15

Einfacher: Die Behauptung, dass Verstehen auf irgendwelche bedeutungslosen "Spikes" reduzierbar wäre, die dann im Übrigen erst noch zu interpretieren wären, ist selbst eine metaphysische, ebenso, dass sich Wissen in Wissenschaften erschöpft.

Kommentar vom 2022-12-19, 20:13

@Kommentator*in von 12:15: Für eine solche Aussage (x sei metaphysisch) müsste man zunächst die Begriffe "Verstehen" und "Wissen" und "Wissenschaften" passend (um)definieren. J. L.

Kommentar vom 2022-12-19, 20:31

@Kommentator*in von 10:59: Ich sehe schon, dass erste Opfer der KI wird die Philosophie sein, wenn das Gefühlte in Anbetracht des Faktischen zerbröselt. – Übrigens ein hübscher Standesdünkel, unseren allseits geliebten Philosophen der Herzen abzuwerten. In der Wissenschaft gehts doch ganz sicher niiiiieeee darum, was man ist, sondern garantiert total objektiv immer nur darum, was man macht. J.&nsbp;L.

Kommentar vom 2022-12-20, 14:43

"Verstehen" ist Nichtwahrnehmbares im Unterschied zu Wahrnehmbarem. Existiert Wahrnehmbares (Physisches) von jedem Beobachter unabhängig, also "rein" objektiv? Und was ist mit Nichtwahrnehmbarem (Meta-Physischem) wie Zahlen, Werte, Propositionen, Verstehen oder, viel schlimmer: Überzeugungen? Jeder Satz, in dem x für etwas Nicht-Physisches steht, könnte man anteilig als einen metaphysischen auffassen. Solche Sätze werden in den Disziplinen untersucht (beispielsweise Mathematik und Anteile der Informatik). Im Fall von solchen Sätzen, in denen x für Vernunft und solchen Prinzipien steht, kann man von eigentlich metaphysischen Äußerungen sprechen, wenn Metaphysik für die Reflexion von Vernunft steht. Oder wollen wir etwa Vernunft einfach so als gegeben hinnehmen? Und inwiefern eine KI-Person, die einen Beitrag zur Reflexion von Vernunft zu leisten im Stande sein mag, alle anderen sich dazu äußernden Personen "zu Grabe" trägt, das wäre mal eine ganz neue Auffassung von Intersubjektivität.

Kommentar vom 2022-12-20, 15:47

Aber mal ganz ab von Metaphysik. Interessiert es Sie nicht, was man unter Wissenschaftlichkeit oder wissenschaftlichem Fortschritt versteht? Es wäre schon arbeitsteilig unvorteilhaft, solche Fragen den Disziplinen zu überlassen. Und da Wissenschaft offenbar immer auch nach dem Allgemeinen sucht, müsste man wohl auch im Allgemeinen etwas dazu sagen können, was man also im Allgemeinen unter (wissenschaftlicher Theoriebildung) Wissenschaften versteht. Oder auch sehr interessant: Haben wir eigentlich unsere Schlussregeln vom Baum der Erkenntnis gepflückt? Und wenn nicht: Wo kommen die dann her? Sind die so richtig? Gibt es etwas Drittes? Und sind die überhaupt korrekt? Wenn das alles nichts miteinander zu tun hat oder auch eine Gesamtschau von vornherein abgelehnt wird, dann würden Begriffe letztlich zu bloßen Zeichenfolgen und für den Menschen unbrauchbar. Denke ich mal.

Kommentar vom 2022-12-20, 18:33

@Kommentator*in von 14:43: Das Schöne an der Philosophie und insgesamt an den Geisteswissenschaften ist, dass sich jede*r ihre*seine eigenen Begriffe (um)definieren kann – so lange, bis es passt. J. L.

Kommentar vom 2022-12-20, 18:39

@Kommentator*in von 15:47: "Interessiert es Sie nicht" – super Rhetorik (so etwas lernt man halt in der Philosophie), zieht aber bei mir nicht. J. L.

Kommentar vom 2022-12-23, 13:30

Es könnte sein(?), dass ich es ähnlich wie Sie sehe (/ "verstehe"), wenn ich sage, dass möglicherweise Menschen und andere sich ähnlich fortpflanzende Lebewesen bestenfalls Laute von sich geben und darauf von anderen (auch artübergreifend) mit eingeübten Lauten (bzw. Schriftzeichen, siehe ChatGPT) "geantwortet" wird. Beispielsweise: "Na, wie is' es?" und als "Antwort": "Naja, muss ja ne.". Beispielsweise aber auch zwei Mathematiker: "Was ist sqrt[2]{2}?", Antwort: "Eine irrationale Zahl." (Diese Identität der beiden Individuen sqrt[2]{x} und sqrt{x} ist übrigens gängige LatexKONVENTION - nicht eine irrationale Zahl?). Zu "Missverständnissen" würden möglicherweise die Kombinationen führen: "Na, wie is' es?", Antwort: "Eine irrationale Zahl." oder "Was ist sqrt[2]{2}?", Antwort: "Naja, muss ja ne.". In beiden Fällen sucht man die Proposition (was auch immer man darunter verstehen mag) lediglich entlang von Konventionen "vergleichbarer" Sprecher (Kriterium/Konvention: Fortpflanzung?!),

Kommentar vom 2022-12-23, 13:31

übrigens auch, wenn man danach sucht, was diese Satzverbindungen unter bestimmten Bedingungen/Konventionen wahr macht. Es GIBT also nicht eine Antwort, sondern wir GEBEN Antworten/Konventionen/Präpositionen von uns, finde ich. Der Ausdruck "Naja, muss ja ne." ist dabei nur etwas ähnlich lediglich diffus erfassbar Beschreibendes wie der Ausdruck "Eine irrationale Zahl." nur eine Beschreibung von sqrt[2]{2} ist, oder besser: eine Besagung. Beim Sprechen Besagen wir etwas, dass da irgendwie irgendwo diffus in uns wabert ... blubb, ob nun "irrationale Zahl" oder "Guten Tag, ..." alles sind Konventionen. Der Anschein oder die Illusion mathematisch präzise fragen zu können führt zu der Illusion, ebenso präzise antworten zu können, wenn man im Fall einer Antwort nach einem Punkt der letztmöglichen Bezugnahme, nach einem letztmöglichen Bezugspunkt, sucht.

Kommentar vom 2022-12-23, 13:31

Bestenfalls könnte man über einen solchen Punkt eventuell noch sagen: Genau einer der möglichen (kognitiven) Zustände und damit eines der möglichen Elemente der Raum-Zeit. Ich mache jetzt trotzdem mal einen ohne zu wissen (/ letztbezüglich angeben zu können), worauf, über Konventionen hinaus, ich mich dabei eigentlich beziehe. Das macht mich sehr verlegen aber immerhin glaube ich daran: Punkt oder auch "." oder kPtnu oder so ähnlich unter der Konvention, dass ...

Kommentar vom 2022-12-23, 18:54

@Kommentator*in von 13:30/13:31/13:31: Ja, Sprache ist Konvention. Allerdings dürften in der Evolution der Sprache solche Sprachentwicklungen, die sich zu weit vom Nutzen für ihre Sprecher*innen entfernt hatten, aussortiert worden sein. Der Nutzen besteht zwar einerseits in der beschriebenen phatischen Kommunion, aber ohne einen Nutzen der Art "Am Teich hinter dem Wald lauert eine Löwin!" oder "Ich schulde dir fünf Schekel." würden die Sprache bzw. ihre Sprecherinnen ausgestorben sein. – Ich glaube, für das Geschäftsmodell der Philosophie ist der Gedanke verheerend, dass irgendwann ein Computer-Modell von Denken, Fühlen, Wissen anfassbar dasteht, das man nicht von "echten" Menschen unterscheiden kann und das man bis ins Kleinste studieren kann, nicht zuletzt mit Experimenten. Der hundsgemeine Vorteil der Naturwissenschaften (ohne Astrophysik/Kosmologie) und der Informatik ist, dass man Experimente machen kann. J. L.

Kommentar vom 2023-01-05, 09:53

Und diese Experimente pflückt man vom Baum der Erkenntnis? Nein. Es sind in jedem Fall Menschen, die Fragen stellen, Experimente entwickeln und durchführen und interpretieren. Und ein Computer-Modell vom Denken bleibt ein Computer-Modell und wird nicht zum Original dadurch, dass man den Output nicht mehr von einem menschlichen Output unterscheiden kann. Einer Korrespondenztheorie der Wahrheit ihre Geltung abzusprechen wäre falsch. Sie überzubewerten ebenso. Vom Paradigma der Einheitswissenschaften um die vorvergangene Jahrhundertwende haben wir uns ebenso entfernt wie von der Vorstellung eines existenznachweisenden Gottesbeweises. Jedenfalls ist durch wie viele Experimente auch immer weder die Wahrheit noch die Falschheit von Theorien nachweisbar. Lediglich über ihre Korrespondenz oder ihre Kohärenz mit einschlägigen Begriffen lässt sich kohärent ein intersubjektiver Konsens abstimmen und das nie ohne immer schon Annahmen gemacht zu haben. Von diesen Annahmen handelt Philosophie.

Kommentar vom 2023-01-05, 11:13

@Kommentator*in von 09:53: Zu Satz 1 bis 3: Natürlich können das auch Computer. Schon jetzt benutzt man GPT-3 etwa, um Lernmaterial für andere KI-Modelle herzustellen. Zu Satz 4: Wir wissen nicht, wie das "Original" funktioniert. Vielleicht ist das Modell nicht mehr nur ein bloßes Modell. J. L.

Kommentar vom 2023-01-05, 12:17

Meine Vermutung ist, dass gpt dabei nicht sich selbst hinterfragt und dabei also nicht seine eigene Vernunft kritisiert, egal ob nun kantisch oder sonst wie. Jedenfalls die die Antwort auf die Frage nach dem Können selbst Lernmaterialien herzustellen diese: "Allerdings kann ich keine eigenständig hergestellten Lernmaterialien erstellen, da ich lediglich ein Programm bin und keine körperliche Fähigkeit zum Erstellen von Materialien habe.". Die Frage war: Kannst Du Lernmaterialien für andere KI-Systeme herstellen?

Kommentar vom 2023-01-05, 19:45

@Kommentator*in von 12:17: Man müsste GPT mit Explainable AI kreuzen oder schlicht parallel zur normalen Ausgabe eine Art Stream of Consciousness antrainieren und den ausgeben lassen. – Als Beispiel zur Erzeugung von Lerndaten durch GPT-3 siehe etwa https://arxiv.org/abs/2211.09800. J. L.

Kommentar vom 2023-01-17, 17:25

Einmal nachgelesen: Prominent entfaltet Dilthey "Verstehen": "Die Natur erklären wir, das Seelenleben verstehen wir.". Wohl niemand weiß, was "Seele" "ist". Also was versteht man dann aber eigentlich? Einige zumindest "wissen", was "seelenlose Maschinen" seien. Streng genommen, wäre dies ebenfalls eine metaphysische Aussage, weil über das Vorhandensein von Seele nicht Wahrheit und ebenso nicht Falschheit vorliegen, der Glaube daran allerdings Wirksamkeit in einem Subjekt-Welt-Bezug entfalten kann - siehe Religionen oder auch Tsukumogami: ein anderer Umgang mit den Dingen in dem Glauben, dass Gegenstände eine Seele haben. Jedenfalls ist "Seele" oder "Verstehen" wohl eher keine geeignete Kategorie für die Beurteilung der Leistungsfähigkeit von artifiziellen Sprachmodellen. Und was mir so ein Sprachmodell beispielsweise auf Fragen wie "Was bedeutet Freiheit?" oder "Ist Freiheit von Bedeutsamkeit?" sagen kann, das ist wohl ebenso ungeeignet. Ich glaube, "Ich" ist keine Einbildung.

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