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Die Umwelt-Gefühlslage

2023-08-04 22:49

Schon wieder eine Umfragestudie zum Umweltbewusstsein, nun vom Umweltbundesamt im Auftrag des Ministeriums. Jüngst gabs schon zwei andere (1, 2). Man muss die Sau so lange wiegen, bis sie satt ist. Oder das Wiegen satt hat. Oder wie ging noch gleich das Sprichwort?

Warum veranstaltet man eigentlich Umfragen von meinen Steuern, statt sich einfach die geflogenen Meilen, den verbrauchten Sprit, das gegessene Rindfleisch oder die gekauften Getränke (statt Leitungswasser) anzugucken? Einfach mal so harte Zahlen statt absichtlich oder unabsichtlich geschönter Gefühle?

Hier ists den Autor*innen selbst aufgefallen: "46 Prozent der Befragten beziehen laut eigener Aussage Ökostrom. Es ist jedoch wahrscheinlich, dass einige Befragte ihren Ökostrombezug falsch eingeschätzt haben: Laut Bundesnetzagentur und Bundeskartellamt (2021) war 2021 nur etwa 30 Prozent des von Privathaushalten verbrauchten Stroms tatsächlich Ökostrom." (S. 52) Hier dagegen hätte man deutlicher auf den Widerspruch hinweisen können: "11 Prozent der Befragten berichten, vegetarisch zu leben, 2 Prozent leben laut eigener Angabe vegan. Hingegen berichten nur 8 Prozent, nie zu den Hauptmahlzeiten Fleisch zu essen." (S. 58) Dieser Satz bleibt sogar komplett unkommentiert: "Abbildung 24 zeigt, dass das am häufigsten gezeigte zivilgesellschaftliche Umweltverhalten das Wählen einer Partei ist, die sich aus Sicht der Befragten für Umwelt- und Klimaschutz einsetzt. Ganze 55 Prozent der Befragten geben an, so zu handeln." (S. 60) Lustig ist auch: "Immerhin 10 Prozent der Befragten berichten, dass sie an Demonstrationen für Umwelt- und Klimaschutz teilnehmen." (S. 62) Lauter virtuelle Demonstrant*innen! [Nachtrag: Und 25 Prozent spenden Geld für Umwelt- und Naturschutzgruppen (Abb. 19 auf S. 54). Da muss wohl der ADAC gemeint sein.]

Gute Absichten haben viele: "Weiterhin sind 19 Prozent auf jeden Fall und weitere 34 Prozent eher dazu bereit, das Auto öfter einmal stehen zu lassen. Ähnlich viele Befragte – 18 Prozent auf jeden Fall beziehungsweise 38 Prozent eher – sind willens, öfter auf tierische Produkte zu verzichten." (S. 62) Wer hindert sie bloß daran, diese Absichten zu verwirklichen?

Die Studie ist zu einem großen Teil eher eine Medienwirkungsanalyse. Wie man es in die Öffentlichkeit reinruft, so schallts aus Umfragen zurück und man kann es dann berechtigt zur Grundlage von Politik machen. "Bitte geben Sie jeweils an, wie wichtig oder unwichtig die folgenden Themen aus Ihrer Sicht sind." (S. 21) "Bitte geben Sie jeweils an, als wie bedrohlich Sie diese Umweltprobleme einschätzen." (S. 32) "Sind für Sie in Deutschland in den folgenden Bereichen bereits sehr starke, starke, weniger starke oder keine Auswirkungen des Klimawandels spürbar?" (S. 39) Wie soll man das beantworten, ohne einfach versuchen, sich an die (wenigen? vielen?) verschneiten Winter seiner Jugend zu erinnern? (Availability Heuristic)

Hier wird die Medienwirkungsanalyse ausgesprochen: "Bitte geben Sie jeweils an, wie gut informiert Sie sich zu diesen Themen fühlen." (S. 30) Naiv, wie ich bin, hätte ich gedacht, dass es wichtiger wäre, wie gut die Leute tatsächlich informiert sind, statt wie sie das fühlen. Also mal ein paar konkrete Wissensfragen stellen!

"Auch sich selbst bewertet die Bevölkerung kritisch: 71 Prozent finden, dass Bürgerinnen und Bürger nicht genug für den Umwelt- und Klimaschutz tun." (S. 24) Halt, halt, halt, liebe Autor*innen, das sind die anderen Bürger*innen, nicht man selbst. NIMBY!

Zwei nett suggestive Fragen: "Auf dieser Liste stehen verschiedene mögliche Aufgabenbereiche im Umweltschutz. Bitte geben Sie jeweils an, wie wichtig die jeweilige Aufgabe aus Ihrer Sicht ist. […] am Ausstieg aus der Atomkraft festhalten [sic!]" (S. 35) Übrigens nicht in der Liste steht: Verkehr vermindern. "In welchen Bereichen sind aus Ihrer Sicht dringend Veränderungen erforderlich, um ein gutes Leben für alle zu ermöglichen? […] Digitalisierung voranbringen" (S. 43) Das mag man insbesondere in der Grundschule anders sehen.

Die Grundgesamtheit, bezüglich der die Studie repräsentativ sein soll, sind nicht alle Leute, sondern die "Bevölkerung in Deutschland ab 14 Jahren mit Internetzugang" (S. 13). Und wenn von "x Prozent der Befragten" die Rede ist, habe ich immer den Verdacht, dass "x Prozent der Antwortenden" gemeint sind, und die nicht antwortenden Befragten wie üblich unter den Tisch fallen. Vielleicht ist das hier bei forsa.omninet anders; weiß ich nicht.

Diesen Satz bitte dick unterstreichen: "Auch wenn Menschen mit höherem Einkommen ein höheres Umweltbewusstsein zum Ausdruck bringen (Kapitel 6.4), handeln Menschen mit niedrigerem Einkommen in der Regel umweltfreundlicher, da sie deutlich weniger CO₂-Äquivalente ausstoßen." (S. 58) Wobei wir eigentlich alle unabhängig vom Einkommen nur so Pi mal Daumen 20 Liter CO₂ pro Person und Stunde ausstoßen. Das, was der Satz besagen soll, hätte man geschickter formulieren können.

Kommentar vom 2023-08-05, 17:37

Jaja, die Umfragen. Dieses Medien-Hobby könnte gut und gerne wieder verschwinden. Es ist reinstes Click-Baiting.
Da werden nur Ja/Nein-Fragen gestellt und dann eine Spaltung der Gesellschaft angeprangert.
"Sind sie für oder gegen Kernkraftwerke?" Differenzierte Betrachtungsweisen werden gar nicht zugelassen - sehr traurig.
Und das Schlimmste ist, dass sehr viele Politiker diese Umfragen als To-Do-Liste interpretieren.

Kommentar vom 2023-08-07, 21:19

Nun wählen wir ja auch den oder die, von denen wir die beste Regierung vermuten, und nicht etwa die erwiesenermaßen beste Regierung. Alle Alternativen zu diesem Ansatz haben ja gewisse Probleme. Von daher ist es aber nicht verwunderlich, dass die Regierung eher an der gefühlten Bereitschaft zum Umweltschutz interessiert ist.
Gruss (dg)

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