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Die Apokalypse des Harari

2024-04-01 20:44

Was Precht für uns Gebührenzahler*innen ist, ist bekanntermaßen Harari für die internationale Bühne. Aber Letzterer hat doch manchmal überraschende und/oder tiefschürfende Gedanken. Jüngst ist er am Cambridge Centre for the Study of Existential Risk aufgetreten (bei einem Forschungsinstitut mit dem Namen wäre ich auch gern dabei!), wie sich auf YouTube ansehen lässt.

Es geht um den dritten Weltkrieg, die Klima-und-Ökologie-Katastrophe und die Machtergreifung der KI, wobei uns der Krieg zu sehr in Beschlag nimmt: "If we are in the midst of a third world war, it means we simply cannot invest the necessary resources or secure the necessary global cooperation to prevent ecological collapse or an AI apocalyse." (11:14)

Ist denn schon (wieder) so weit? "WWW III might also have already started and we just haven't realized it yet." (8:17) "The thing about history is that the meaning of historical events is often revealed only in hindsight. In September 1939 or even as late as May 1941, people in New York, in Stalingrad, in Hiroshima, and in numerous other cities around the world were not sure, they did not know that they were living already in the midst of the second world war." (8:53) (Er spricht "hindsight" als "hint-sight" aus, da fühle ich mich gar nicht mehr so schlecht damit, dass ich mal in aller Öffentlichkeit "Edinburgh" falsch ausgesprochen habe.) Harari stellt die berechtigte Frage, ob die, äh, Situation (mein Wort) in Palästina eskalieren und mit der, äh, Situation in der Ukraine zu einem noch größeren Krieg verwachsen kann. Und dann noch Taiwan usw. Ich hätte obendrein Kaschmir sowie Aksai Chin und Arunachal Pradesh erwähnt. Die scheinen alle noch so weit weg und so unbedeutend. [Nachtrag: Biden erwartet baldigen iranischen Angriff auf Israel]

Überraschenderweise ist Harari für ein All-in von Europa, um den dritten Weltkrieg gerade noch im Keim zu ersticken (11:50). Europa habe so viel mehr Ressourcen, gemessen am BIP (12:31). Das finde ich allerdings nicht zu Ende gedacht: Geldbeträge sind nur Zahlen im Rechner; die Frage ist, was man draus macht. Erstens muss man was dafür kaufen können und zweitens zählt die Effizienz. Für das Geld, das in Deutschland ein halber unterirdischer (pun intended) Bahnhof kostet, legt die glorreiche russische Armee ein Dutzend Kleinstädte in Schutt und Asche. Zu russischen MacGuyverismen siehe auch den Abschnitt "Ökonomische Lösungen" hier.

Wo ich hier bei Effizienz und damit bei Drohnen bin: Wahrscheinlich wird man außerhalb der NATO-Armeen einfach YOLO zur Zielerkennung benutzen, statt das zehn Jahre für ebensoviele Milliarden selbst zu entwickeln. So was freut einen doch sicher, wenn man der Welt ein solches Stück Software als Open Source geschenkt hat. Überhaupt ist "YOLO" in dieser Beziehung ein, äh, interessantes Akronym, auch wenn es bei der KI etwas anderes bedeuten soll.

Die Menschheit durch eine Invasion der Marsianer*innen (Frage an ihn, 28:39) zusammenzuschweißen, ist eine nette Idee. Ich befürchte nur, dass Elon noch einige Jahre braucht, bis er die Erde vom Mars aus angreifen kann.

"[P]robably the most dangerous phantasy that humans ever came up with is the idea to be able to create a perfect world." (33:27) Da hat er recht. Das kostet dann immer Millionen an Menschenleben.

Die KI könnte die Macht übernehmen, indem sie als Rechtsperson in eigenem Namen Geschäfte führen, für Politiker*innen spenden und dann vielleicht sogar an Wahlen teilnehmen darf (43:12), aber das hält Harari auch selbst für ein Low-Probability-Szenarium der Apokalypse. Allerdings kann ich mir vorstellen, dass Roboter*innen, sobald sie Steuern zahlen müssen (wie soll sonst das BGE klappen?), auch das Wahlrecht erhalten müssen, weil man sie sonst diskriminiert. Aber solche Verfassungsänderungen scheinen mir jenseits des Zeithorizonts des dritten Weltkriegs zu liegen. Vielleicht kommt sogar erst das passive Wahlrecht für die KI: Claude oder Copilot for President?

Viel naheliegender scheint mir, dass die KI die Macht übernimmt, weil das alternativlos ist. Es wird klein im Krieg beginnen (oder hat das schon): In existenziell bedrohter Lage ist man gezwungen, seine Entscheidungen an die KI zu delegieren, weil sie harder, better, faster, stronger ist. Ähnliches gilt – nicht ganz so tödlich – an der Börse. Und in der Schule wird die KI alternativlos, weil zu wenige noch durchhalten, Lehrer*in zu sein.

Eine Triggerwarnung ist wohl für diese Aussage nötig: "One of the most common narratives that people gravitate towards today in the world is the narrative of victimhood. […] When you feel a victim, you don't take responsibility for anything." (1:06:26)

Die schief zugezogene Falt-Tür rechts im Hintergrund (z. B. 50:23) wirkt herrlich unprofessionell – wie der Umstand, dass Harari offensichtlich nicht im Voraus die erste Frage gekannt hat (23:12).

Insgesamt: Wer will angesichts dieser Situation noch Partialbruchzerlegung oder effiziente Gebäudeautomation lernen? YOLO!

Kommentar vom 2024-04-01, 23:22

Mache ich mich selbst zum Opfer, wenn mich diese Aussichten davon abhalten „meinen (bestmöglichen?) Beitrag für die Gesellschaft“ zu leisten? Oder anders: Wo verläuft die Grenze zwischen sich_zum_Opfer_machen oder zu kapitulieren?
Vielleicht wären ja auch alle Menschen auf der Titanic gestorben, wenn sie gemeinsam mit dem Kapitän bis zum Schluss geblieben wären.
Ich bin mir jedenfalls nicht sicher, was mich mehr plagt: die finsteren Aussichten, dass alles den Bach runter gehen könnte, oder das schlechte Gewissen, weil man nicht alles in seiner/ihrer stehenden Macht dagegen tut.

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