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Die Rückkehr der Wehrpflicht

2025-02-25 21:45

Jetzt nach der Wahl werden so einige Probleme ans Tageslicht drängen, die, um niemanden zu verstören, gut unter dem Teppich gekehrt waren. Nein, ich meine nicht die Klimakatastrophe. Hier gehts mir darum, dass unklar ist, wo 100.000+ Soldat*innen zur Bewachung eines noch zu definierenden Grenzstreifens zwischen Rest-Ukraine und Russland herkommen sollen. Oder zur Abschreckung am Suwałki-Korridor.

Die wohl kommenden Regierungsparteien wollten ja behutsam oder ziemlich freiwillig die Wehrpflicht wieder einführen. Solche Ideen dürften nun durch die Weltlage überholt sein, auch wenn Bundeswehr-Uni-Prof Masala optimistisch ist und uns noch bis Anfang 2028 gibt.

Die Idee einer Wehrpflicht für die jungen Leute (m/w/d) ist aber wirtschaftlich und sozial heikel: Sie werden dringend benötigt, um endlich auch in Deutschland Unicorn-Startups zu gründen oder zumindest dort 24/7 zu schuften. Auch die erfinderische Tätigkeit hat ihren Peak in den 30er-Lebensjahren; also zählt jedes produktive Lebensjahr davor. Bei der Umstellung von Diplom auf Bologna-Bachelor gabs noch das Argument, dass die Leute zu alt seien, wenn sie mit dem Studium fertig sind. (Lustigerweise finde ich kein konkretes Zitat dazu. Ob das Internet doch vergisst?)

Schlimmer noch: Die Gen Z und die Gen Alpha müssen meine Pension erarbeiten. Das gelingt mit der Verzögerung durch den Wehrdienst nicht nur schlechter, sondern stellt obendrein eine Doppelbelastung dar. Die Atmosphäre zwischen Angeschnauztwerden, Rumhängen, Alkohol und Mobbing, welche die Altvorderen vom früheren Bund berichten, ist sicherlich ebenfalls kein großer Anreiz. Ob ein bald ehemaliger Minister das im Blick hat, wenn er sagt, in der heutigen Zeit würde er vermutlich doch Wehrdienst leisten (20:28)?

Früher sind die Jungs nach Westberlin umgezogen, aber nur ein paar, denn Westberlin fühlte sich schon ganz schön weit weg an. Heute aber mit Insta scheinen Australien und Neuseeland vor der Haustür zu liegen. Und dort wird man mit Kusshand fähige junge Leute nehmen. Deutschland würde noch mehr zum musealen Altenheim.

Out of the box denkend, könnte man sich fragen, warum denn die jungen Leute mit Peacekeeping, Abschreckung und Verteidigung belastet werden müssen. Könnte man nicht stattdessen den Älteren ein Angebot machen? Spätestens durch die KI werden doch alsbald viele Jobs expendable. FH-Mathe-Prof zum Beispiel, just saying. Bevor man sich als Heizer*in auf der E-Lok langweilt, kann man vielleicht im turnusmäßigen Wechsel einen Monat lang die Grenze vor Херсон bewachen. Der Urlaub auf den Malediven oder die Exkursion nach NYC sind dagegen lame und produzieren viel mehr CO₂. Alles eine Frage der richtigen Verkaufe.

Übrigens: Gar nicht erwähnt zu werden scheint mir die Reserve von offiziell knapp einer Million Dienstleistungspflichtiger.

Die Frage ist sowieso, warum, wenn KI so viele Jobs beseitigt, das Kriegshandwerk noch in Handarbeit und vor Ort ausgeübt werden muss. In Ramstein geht das schon seit langem anders. Sollte man schleunigst Drohnenforschung und -entwicklung aufbauen? Die Werke von VW und Mercedes-Benz, das Brandenburger Werk von Tesla und erst recht die Zulieferindustrie sollten derzeit freie Kapazitäten haben, um die Ergebnisse umzusetzen.

Wieso also Hunderttausende in die Wehrpflicht schicken? Das ist vielleicht nicht zuletzt eine symbolische Handlung mit realem Effekt: Skin in the Game. Die jungen Leute und deren Eltern und Großeltern senden ein teures Signal, dass sie solidarisch sind und auf die Solidarität der anderen setzen, um im V-Fall nicht allein dazustehen. In vielen Fällen dürfte sogar zunächst eine kognitive Dissonanz entstehen, die zu einer Überzeugungsänderung führt.

Für eine Abschreckung, die auf die Gegenpartei glaubhaft defensiv wirkt, könnte man die Tiefenverteidigung viel mehr betonen als bisher. Zum Beispiel in jeder Stadt Vorräte von Thermit®, Quecksilber(II)-fulminat und was sonst so in Breaking Bad vorkam anlegen, die bei Bedarf unter der Bevölkerung verteilt werden können. Vorher gibt es Event-mäßige Schulungen über die sachdienliche Anwendung – mit vielen Möglichkeiten, sich als Teilnehmer*in auf Insta und TikTok zu produzieren. Es darf keinesfalls nach dem miefigen Bund der 80er riechen.

Kommentar vom 2025-02-25, 22:35

Grenzüberwachung funktioniert auch automatisch, exportieren wir sogar (https://www.flir.de/surveillance/border-surveillance/), könnte auch die „grünen Grenzen“ Deutschlands schützen. (fm)

Kommentar vom 2025-02-25, 22:38

@fm: Da fehlt aber die Firepower! J. L.

Kommentar vom 2025-02-25, 22:54

Ruhestands-Redakteurender trifft Mathe-Prof in Cherson. ;-)

Kommentar vom 2025-02-25, 23:14

@Kommentator*in von 22:54: Die KI hat das offensichtlich im Aufmacherbild extrem gut getroffen! J. L.

Kommentar vom 2025-02-26, 19:56

Man könnte eine Mauer bauen. Damit haben wir ja Erfahrung. Nachdem das mit den Autos nicht mehr so gut läuft, brauchen wir eh einen neuen Exportschlager.
WehrPFLICHT für Frauen ist sicher auch ein spannendes Thema.
M.K.

Kommentar vom 2025-02-26, 21:27

@M.K.: Für Frauen und alle anderen. Bei CDU und Grünen ist das ja schon ausgemachte Sache. Die Frage ist nur, was man Der Linken anbieten muss, damit sie die nötige Grundgesetzänderung mitmacht. Alternativ könnte aber auch das Bundesverfassungsgericht nach einem Vierteljahrhundert seine Auffassung der Jetztzeit anpassen. J. L.

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