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Die Blog-Postings sind Kommentare im Sinne von § 6 Abs. 1 MStV. Der Verfasser ist Jörn Loviscach, falls jeweils nicht anders angegeben. Die Blog-Postings könnten Kraftausdrücke, potenziell verstörende Tatsachenbehauptungen und/oder Darstellungen von Stereotypen enthalten. Die Beiträge der vergangenen Wochen werden als Bestandteil der Internet-Geschichte in ihrer ursprünglichen Form gezeigt. Menschliche Autor*innen können unzutreffende Informationen über Personen, Orte oder Fakten liefern.
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2025-05-16 23:16
Ich bin ja nicht der Einzige, der das im Cartoon Abgebildete merkt. Und so gab es jüngst drei recht populäre Artikel dazu. Beim ersten Artikel davon erkenne ich allerdings nicht so recht, was denn nun die wirkliche Überschrift ist: hi chat I need your help writing an essay
Everyone Is Cheating Their Way Through College
ChatGPT has unraveled the entire academic project
Rampant AI Cheating Is Ruining Education Alarmingly Fast
Ein paar studentische Zitate darin kommen gut: I think we are years — or months, probably — away from a world where nobody thinks using AI for homework is considered cheating[.]
College is just how well I can use ChatGPT at this point[.]
Who could resist a tool that makes every assignment easier with seemingly no consequences?
Für mich bedeutet gerade die letztere Aussage, dass wir auf einen Kipppunkt (gibt ja noch nicht genug davon!) zusteuern: Wenn KI-abstinente Student*innen merken, dass immer mehr andere auf den Zug aufspringen und sie selbst die Dummen sind, werden sie ihre Haltung überdenken. Derzeit scheint mir anhand einer aktuellen In-the-wild-Stichprobe von Motivationsschreiben die Lage aber noch gemischt. Viele davon scheinen handgemacht – oder halt von schlechter KI erzeugt oder aber sehr gut gepromptet; andere zeigen dagegen bisher seltene Phänomene wie Gedankenstriche (allein schon das!), die dann auch noch typographisch normgerecht sind (Halbgeviertstriche), verwenden allerdings gleichzeitig Blocksatz ohne Silbentrennung. Natürlich kann und darf ich solche Beobachtungen nicht in die Bewertung einfließen lassen.
Wenn die Situation wirklich kippt, dann ist alles gefährdet, was ohne Aufsicht und ohne Kontrolle von Brille, Ohren, Uhr und Taschen geschieht. Das gilt auch für Zwischenversionen, Lerntagebücher und mündliche Prüfungen. Passenderweise habe ich vor vier Jahren mal einen Vortrag Prüfungen abschaffen
gehalten. Nebenbei zeigt jener Vortrag auch, dass ich die KI bei diesem Thema null auf dem Schirm hatte. Damit war ich nicht allein.
Der zweite Artikel Is AI Enhancing Education or Replacing It?
beleuchtet die Gründe etwas besser:
The assignment itself is a MacGuffin, with the shelf life of sour cream and an economic value that rounds to zero dollars. It is valuable only as a way to compel student effort and thought.
So weit bin ich einverstanden. Was ich aber mehr betonen würde, ist, dass dieser MacGuffin nicht als solcher (also als erjagenswert) wahrgenommen wird. Ein 40-Seiten-Dokument mit Literaturrecherche und normgerechten Quellenangaben kommt im Job nicht mehr vor. Ebenso wenig wie Differentialgleichungen.
Dies hier widerspricht meinen Erfahrungen: Much of what’s driving student adoption is anxiety. In addition to the ordinary worries about academic performance, students feel time pressure from jobs, internships, or extracurriculars, and anxiety about GPA and transcripts for employers.
Zumindest gemäß den Prä-Covid-Studien zur Workload im Studium (hier auf dem Blog immer wieder mal erwähnt) scheint der Studienalltag meist recht entspannt zu sein. Und in den MINT-Fächern werden derart händeringend Leute gesucht, dass, wie man so schön sagt, Vier gewinnt
.
Ein viel wichtigerer Treiber der KI-Nutzung scheint mir das Thema Deutsch als Fremdsprache
. Ich spreche nicht die Sprachen so einiger meiner Student*innen. Deshalb ja auch mein Whiteboard mit Übersetzung (demnächst mehr dazu). Die hochschuldidaktische Fortbildung sollte sich auf Sprachkurse fokussieren, denn ohne die ist alles nichts.
Artikel Nummer Drei befasst sich mit der Seite der Lehrenden: The Professors Are Using ChatGPT, and Some Students Arenʼt Happy About It
Kann man 8000 US$ pro Kurs verlangen (naiv gerechnet als Studiengebühr geteilt durch Zahl der Kurse), wenn die*der Prof*in das Erstellen der Skripte und das Bewerten an die KI delegiert? Umgekehrt halte ich dieses Zitat eines Profs im Artikel für romantische Phantasterei: Itʼs the human connections that we forge with students as human beings who are reading their words and who are being impacted by them.
Was mein eigenes Cheaten als Prof angeht, betreibe ich nicht nur Vibe Coding, sondern fake auch mit der KI, dass ich Linux beherrsche. Und LaTeX. Und TikZ.
Zu der ebenfalls jüngst erschienenen und viel beachteten Metastudie zu ChatGPT und Lernen ist noch ein getrennter Verriss fällig.
Verwandtes Thema: Mein Vortrag Mathe ist nicht Netflix: der Technikfalle
in der Ingenieurmathematik-Lehre entkommen
(Video) ist nun endlich in aufgeschriebener Form verfügbar (hier ab S. 6).
Kommentar vom 2025-05-27, 10:53
1. Ich persönlich verstehe nicht, aus welchem Grund man versucht, den hier Pate stehenden deutungshoheitlichen Akademismus retten zu wollen. Was sich durch einen Studiengang cheatet, wird letztendlich am Markt scheitern oder sich genau in diese Akademien fliehen, welche sicher offenbar jetzt schon selbst überlebt haben.
Wenn man inzwischen mit tausenden von PDF-Dokumenten "chatten" kann, so entsteht ein Expertensystem, auf Basis dessen jemand bei entsprechend ausgebildeter kognitiver Leistungsfähigkeit Doktorarbeiten schreiben kann. Wer braucht da noch "lehrende" Professoren? :)
Kommentar vom 2025-05-27, 10:54
2. Allein also zur Rettung eines akademischen Habitus und der Aufrechterhaltung eines damit einhergehenden Kulturkapitalismus, der durch sein Angebot seinen eigenen von gesellschaftlicher, politischer und wirtschaftlicher Tragfähigkeit abgewandten Markt schafft und einzig ideologiezugewandt funktioniert, benötigt niemand Akademien, ja, karikieren Akademien sich selbst in der Verbrämung des ursprünglichen Gedankens aristotelischer Akademiengründung zur arbeitsteiligen Beforschung kognitiver Zustände – man kann nicht sinnvoll in einer einzigen Lehrveranstaltung über alles reden. Sinnlos ist es demgegenüber ebenso, aus jedem Begriff einen neuen Studiengang zu entwickeln ;).
Kommentar vom 2025-05-27, 21:40
@Kommentator*in von 10:53: aus welchem Grund man versucht, den hier Pate stehenden deutungshoheitlichen Akademismus retten zu wollen
Nun ja, vielleicht zur Wahrung eigener Privilegien? J. L.
Kommentar vom 2025-06-07, 01:06
Schön, dass man es wenigstens zugibt! :)
Kommentar vom 2025-06-07, 10:32
Dazu noch: Grundsätzlich ist die Wahrung der eigenen Privilegien sicherlich auch nicht weiter problematisch. Wenn darüber hinaus aber jegliche Konsensfähigkeit verloren geht, stehen sich Interessengruppe nur noch unversöhnlich gegenüber - nicht auf Personen bezogen. Damit verliert eine Gesellschaft dann jegliche Gesellschaftlichkeit, worauf aber eine moderne (arbeitsteilige) Gesellschaft angewiesen ist.
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