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Magna cum laude, powered by AI

2025-06-08 00:32

Mein Impulsvortrag zu Möglichkeiten und Hintergründen des Schummelns mit KI ist nun online. Der abschließende und für mich wesentliche Punkt, dass ich nicht mehr weiß, was ich prüfen soll, weil ich nicht mehr weiß, mit welchen geistigen Tätigkeiten man noch Geld verdienen können wird, ging leider in der anschließenden Diskussion unter.

Die sogenannten KI-Kompetenzen (Welches Modell wofür? Wie prompten?) werden doch zu einer Farce. Analog zu denen hat man früher Lehrveranstaltungen darüber gemacht, wie die Suchmaske des Bibliothekskatalogs korrekt zu nutzen ist (Wildcards, logische Verknüpfungen usw.). Lang ists her.

Meinen Student*innen erzähle ich zwar noch in der Informatik, sie müssten die Programme zumindest lesen können, um zu prüfen, ob die KI das programmiert hat, was sie wollen. Aber ich denke, allen ist klar, wie fadenscheinig diese Idee ist, weil die KI so weit jenseits des Horizonts meiner Student*innen programmiert. Man kann der KI nur glauben. Analogie: Rechnet man die Klimaprognosen nach oder glaubt man den Expert*innen?

Insofern ist das von einem Kollegen vorgeschlagene Bild KI als Thermomix als Hilfe beim Kochen schief. Die KI ist eher eine 4-Sterne-Köchin, die sich nicht zu schade ist, Kartoffeln aus dem Keller zu holen, aber manchmal etwas zu viel Acid einwirft.

Ebenfalls am eigentlichen Problem des Womit-kann-man-noch-Geld-verdienen vorbei gehen die Sonntagsreden-Vorschläge, eine Kultur des Vertrauens zu schaffen. Diese Gelegenheit zum Virtue Signaling sollte man sich zwar nicht entgehen lassen; allerdings rechne ich mit einem Lawinen-Effekt, wenn die bislang KI-abstinenten Student*innen merken, dass sie die Dummen sind. Eine Kollegin aus der juristischen Ecke merkte an, dass einige Student*innen über ihr Praktikumsunternehmen Zugriff auf eine teure Jura-KI haben, was die anderen nicht so lustig fänden.

Ich hatte ja schon bisher empfohlen, sich handwerkliche Jobs zu suchen, die noch schwierig zu roboterisieren sind – Aufgaben wie die, Dächer zu reparieren, Wärmepumpen zu installieren und nun auch wieder Gasthermen zu warten. Zwei Leute von Anthropic haben das jüngst noch drastischer formuliert: Die KI wird uns als menschliche Roboter benutzen (ab 2:03:55). Oder, in meinen Worten gesagt, das obere Management wird das mittlere Management durch KI ersetzen – und die Leute auf der Arbeitsebene erleiden das Schicksal der Uber-Fahrer*innen als Massenphänomen.

Beim Editieren des Videos habe ich mich dabei erwischt, wie ich mit ausgesprochenen Anführungszeichen davon gesprochen habe, dass die Maschine weiß und nachdenkt. Diese Anführungszeichen muss ich mir abgewöhnen. Die KI-Leugner*innen von c’t hatten auf dem Titelblatt von Heft 11/25 sogar stehen: Wie Reasoning-Modelle das Denken simulieren. Simulieren! Uh-oh, hoffentlich ahndet die zukünftige ASI solche Beleidigungen nicht.

Und dass Backpropagation nicht biologisch ist (S. 62, selbe Ausgabe), heißt nicht, dass sie zwangsweise schlechter funktionieren muss als das biologische Lernen. Wir wollen ja auch aus naheliegenden Gründen keine Autos, die auf Beinen rennen, oder Flugzeuge, die mit den Flügeln flattern. Vielleicht hat die Evolution einfach Backpropagation nicht erfinden können, so wie sie auch keine großen Räder hat erfinden können. (Kleine Räder dagegen schon.) Und dass man sich selbst bei keinem Reasoning-Modell darauf verlassen kann, dass es erklärt, wie es tatsächlich zu seinem Ergebnis gekommen ist (S. 65), ist zutiefst menschlich.

Das Ganze wird selbstironisch durch augenscheinlich menschengemachte Fehler wie Selbstreflektion (riesige Überschrift auf S. 50), Kontextfilter statt Content-Filter (S. 52) und Kritik an der Serverüberlastung von DeepSeek ohne Verweise auf alternative Hosts (S. 55).

In related news gibt es gerade den viel geshareten und wenig gelesenen Preprint (?) mit dem clickbaity Titel The Illusion of Thinking, ausgerechnet aus dem Hause Apple, wo man allen Grund hat, die anderen, die so viel weiter sind, madig zu machen. Das Wort Illusion kommt nur einmal vor – im Titel. Im Wesentlichen geht es um Claude 3.7 Sonnet (thinking) und Towers of Hanoi. Nuff said. [Nachtrag 1: Der beste Kommentar ever dazu.] [Nachtrag 4: Nein, dies ist der beste Kommentar dazu.]

Abschließend zurück zur Frage, was sich noch zu lernen lohnt. Vielleicht Neuralese, also eine Sprache, die eine KI im Verborgenen mit sich selbst und vielleicht dann auch sichtbar mit anderen KIs spricht. Aber das dürfte unseren biologisch beschränkten geistigen Horizont massiv übersteigen. ChatGPT o3 schlägt so etwas vor:

𝜈₁: 𝑓=7.81kHz, 𝜑=π/4, 𝐴=0.42 :: Ψ₁: 0.0037i
⧗⧙⫰⟜⫴⧂⧑ :: FractalDepth=5
⟦𝒇⟧: |⊕⊚⊕| → decode
Aber da wäre ja schon allein durch die noch menschenlesbaren Teile viel zu viel Redundanz drin. [Nachtrag 2: Matrix Code Rain]

[Nachtrag 3: grandiose Karikatur zum Fachkräftemangel]

Kommentar vom 2025-06-08, 15:06

Evolution: Ich bin auch immer wieder erstaunt, wie viele Leute glauben, der Mensch sei die Krone der Schöpfung und sein Gehirn stelle deswegen das absolute Optimum dar. Als ob wir wüssten, auf welche Arten Intelligenz funktionieren kann. Außerdem hängt die Leistung der KI natürlich nicht nur von ihrer internen Struktur ab, sondern auch von der Art und Weise, wie sie trainiert wird und das ist nun mal ganz anders als beim Menschen.

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