Home | Lehre | Videos | Texte | Vorträge | Software | Person | Impressum, Datenschutzerklärung | Blog RSS

Die Blog-Postings sind Kommentare im Sinne von § 6 Abs. 1 MStV. Der Verfasser ist Jörn Loviscach, falls jeweils nicht anders angegeben. Die Blog-Postings könnten Kraftausdrücke, potenziell verstörende Tatsachenbehauptungen und/oder Darstellungen von Stereotypen enthalten. Die Beiträge der vergangenen Wochen werden als Bestandteil der Internet-Geschichte in ihrer ursprünglichen Form gezeigt. Menschliche Autor*innen können unzutreffende Informationen über Personen, Orte oder Fakten liefern.

vorheriger | Gesamtliste | jüngste | nächster

Normen entfesseln

2024-03-27 22:58

Schon länger bin ich davon genervt, dass alle voll für Open Access und so sind, aber die Normen hinter Gittern stehen. Beispiel: Wer traut sich, Normen Wort für Wort in OER-Materialien zu diskutieren? Und vor Gericht gelten Normen als Stand der Technik, den die beklagte Partei hätte einhalten müssen; die Lage ist noch übler, wenn Gesetze und Verordnungen direkt auf Normen verweisen. Nun gibt es aber den Lichtblick, dass der EuGH in einer konkreten solchen Situation einer harmonisierten technischen Normen ein "überwiegendes öffentliches Interesse" zugesprochen hat, was schwerer wiege als der "Schutz des geistigen Eigentums".

Je nachdem, wo man guckt, beginnt damit der Untergang des Abendlandes (insbesondere hier, wobei uns der Autor mit der Nennung des Namens Malamud statt der im Urteil angeführten Organisationen Public.Resource.Org und Right to Know verblüfft und sein "Daran ist alles falsch." nicht erkennbar begründet) oder aber man begrüßt, dass "die bewährte Arbeitsteilung zwischen der Europäischen Kommission und der privatwirtschaftlich getragenen Normung gestärkt" werde (sagen DIN und DKE, of all people). Unklar bleibt mir, ob Letzteres angewandte Маскировка ist oder aber die Vorahnung eines neuen Geschäftsmodells (siehe Folie 22 hier).

Warum sollten DIN und sein Beuth-Verlag nicht so Open Access machen – also auf beiden Seiten die Hände aufhalten – wie Elsevier und Springer Nature? Man soll gefälligst bezahlen, um an Normen mitwirken zu dürfen. Das würde dem gaming the system gerecht: So wie man kreuz und quer Patente hortet, um andere davon abzuschrecken, deren Patentrechte durchzusetzen, so kann man in Normen festschreiben, was dem eigenen Unternehmen nutzt und den anderen schadet. (Selbstverständlich werden die den gleichen Move versuchen. Um so besser für die Normungsorganisation.) Oder man kann gemeinsam Kosten für Dritte festschreiben.

Andererseits wäre der Beuth-Verlag mit seinen etwa 90 Mio. € Jahresumsatz auch für ein paar Peanuts zu verstaatlichen: Für diesen Betrag kriegt man nicht mal nen Drittel vom F-35! Was ich nicht rausbekommen habe, ist, welcher Anteil des Beuth-Umsatzes von staatlichen Bibliotheken stammt. Vielleicht ist der Verlag sowieso schon weitgehend staatsfinanziert.

Stichwort Bibliotheken: Bei der elektronischen Auslieferung der Normen namens "Nautos" habe ich den Eindruck, dass die irgendwo zu Hause auf einem Raspi läuft. Oder ist das Schneckentempo eine Abwehrmaßnahme dagegen, dass jemand zu viele der Normen auf einen Schlag "befreit"?

Natürlich ist DIN nicht allein; schon allein hierzulande gibts mindestens noch den VDI und – mit im Wortsinne nur 4YEO zugänglichen elektronischen Dokumenten – den VDE. Könnten sich die alle eine Scheibe vom W3C abschneiden? Oder von den Requests for Comments oder den Python Enhancement Proposals?

Und noch zum Thema Qualitätssicherung: Neuerdings sieht man immerhin in einigen Normen Quellenangaben. Aber Herleitungen von Formeln sind immer noch Fehlanzeige: Man darf rätseln, woher eine Gleichung stammt, wie sehr man ihr trauen kann und wie man sie auf andere Fälle verallgemeinern kann. Mein diesbezüglich bevorzugtes Hassobjekt ist die Schätzung des Ausnutzungsgrads im Unterabschnitt 5.5.3 von DIN V 18599-2.

Der Beuth-Verlag heißt übrigens demnächst aus Gründen (nämlich das 100-jährige Jubiläum, was dachtet Ihr denn?!) nicht mehr Beuth-Verlag. Aber die Martin-Luther-Universität heißt immer noch Martin-Luther-Universität.

Neuer Kommentar

0 Zeichen von maximal 1000

Ich bin die*der alleinige Autor*in dieses Kommentars und räume dem Betreiber dieser Website das unentgeltliche, nichtausschließliche, räumlich und zeitlich unbegrenzte Recht ein, diesen Kommentar auf dieser Webseite samt Angabe von Datum und Uhrzeit zu veröffentlichen. Dieser Kommentar entspricht geltendem Recht, insbesondere in Bezug auf Urheberrecht, Datenschutzrecht, Markenrecht und Persönlichkeitsrecht. Wenn der Kommentar mit einer Urheberbezeichnung (zum Beispiel meinem Namen) versehen werden soll, habe ich auch diese in das Kommentar-Textfeld eingegeben. Ich bin damit einverstanden, dass der Betreiber der Webseite Kommentare zur Veröffentlichung auswählt und sinngemäß oder zur Wahrung von Rechten Dritter kürzt.