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Musikalisches Kapital à la Bourdieu

2020-02-16 14:53

Wenn ich die Fast-Noch-Jugendlichen artig musizieren höre und sehe, schlägt meine von Bourdieu verursachte Déformation professionelle durch, dass ich geradezu zwanghaft nach den Umständen des Aufwachsens recherchieren muss. Ergebnis: "music-loving parents who noticed that her older brother, and then herself, have a perfect ear"*, "[a]t the age of 2, she played piano and drums", "schooling was limited to one week in kindergarten. Removed from the system by her parents who wanted her to enter the conservatory as soon as possible". (QWEST)

(*Fachliche Anmerkung: Es sieht danach aus, dass alle Kinder ein absolutes Gehör haben. Die allermeisten scheinen es also zu verlernen – vielleicht aus einem guten evolutionspsychologischen Grund?)

Ein sehr ähnliches aktuelles Phänomen ist Jacob Collier: "We sing Bach chorales together as family – it's just so much fun." (Jazzwise)

Die Moral ist immer wieder: Ohne Leopold wird man nur schwer zum Wolfgang.

Es gibt aber (natürlich) auch die Gegenszene – ohne Musikstudium, ohne inhaltliche Kompatibilität zur derzeitigen Mehrheitsgesellschaft, aber dafür mit Privatjet: die Gangster-Rapper. Bei denen fühlen sich erstaunlicherweise die Kinder aus "gutem" Hause wohl, wie der Spiegel jüngst berichtete.

Kommentar vom 2020-02-16, 19:33

"Déformation professionelle": Das möchte ich auch haben, bzw. in dieses Konglomerat: Ist das so eine Art Arbeiterkiddies-solidarischer Lyons-Club von unten?

Kommentar vom 2020-02-16, 19:56

Können Sie nicht einmal Tacheles über Ihre Herkunft reden?

Kommentar vom 2020-02-16, 20:16

@Kommentator(in) von 19:33: Interessant. Man könnte tatsächlich "Dé-formation" auch als postmoderne Art "Formation" lesen und Letztere als "Gruppierung" übersetzen. Das könnte eine intellektuelle Version des asozialen Netzwerks werden. Endlich habe ich einen Namen für die Splittergruppe, die ich gründen will! J.L.

Kommentar vom 2020-02-16, 20:25

@Kommentator(in) von 19:56: Wie für FH-Profs meines Alters üblich, stamme ich aus einfachen Verhältnissen. Mehr will ich hier nicht ausbreiten. J.L.

Kommentar vom 2020-02-17, 00:39

:-) Danke. Wie beruhigend! War mir nicht klar, dass FH-Prof mal ein typischer Werdegang für männliche (?) Abiturienten aus dem Arbeitermilieu war, also eine Etage dieser Rolltreppen- und Fahrstuhleffekte nach Ulrich Beck, dessen 80er-Jahre-Theorie nach dem neoliberalen Turn bald überholt war. "Dè-formation" – was für ein superbes Sprachspiel. Kennen Sie Oulipo? Das war das literarische revolutionäre Sprach- und Schreib-"Programm" der Avantgarde der 60er ...

Kommentar vom 2020-02-17, 14:34

@Kommentator(in) von 00:39: Vorsicht mit der Logik! Wenn viele derer mit Eigenschaft A auch die Eigenschaft B besitzen, heißt das nicht zwangsläufig, dass viele derer mit der Eigenschaft B auch die Eigenschaft A besitzen. – Oulipo: Wieder was gelernt, obwohl mir Oskar Pastior schon vorher ein Begriff war. Erinnert mich an 施氏食獅史. Ob man "Freiheit durch Beschränkung" (hört sich irgendwie an wie "ignorance is strength") auch in der Didaktik einsetzen kann? J.L.

Kommentar vom 2020-02-17, 18:19

"Freiheit durch Beschränkung" hört sich nach klassischem Mathematik-Unterricht an, oder? Die ästhetische Strenge von Sonetten entsteht eben genau dadurch, dass es formale Beschränkungen gibt. Oder ein Text, der ausschließlich Wörter mit einem einzigen Vokal erlaubt. Ein Matheprof, der Oskar Pastior kennt, Sie wissen immer wieder zu erstaunen. Den "The Lion-Eating Poet" kannte ich nicht, Ihre Chinesischkenntnisse eilen wohl in Siebenmeilenschritten voran ...

Kommentar vom 2020-02-17, 18:37

@Kommentator(in) von 18:19: "Sonette" sind hier sicher eine Anspielung auf die Neue Frankfurter Schule? "Materialien zu einer Kritik der bekanntesten Gedichtform italienischen Ursprungs"? J.L.

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