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Prüfungsleistungen outsourcen

2020-04-24 21:40

Hausarbeiten oder Klausuren einfach abzuschreiben, ist von gestern. Irgendwie scheint das bei vielen Lehrenden noch nicht angekommen zu sein, merkt man an den aktuellen Diskussionen über Prüfungen aus der Ferne.

Statt des Abschreibens ist heute das contract cheating angesagt, und zwar nicht nur für Hausarbeiten, sondern auch just-in-time. Zu Letzterem scheint es noch wenig an Forschung zu geben, aber allgemein zu contract cheating findet man schon etwas. Zur Häufigkeit: "[I]n samples from 2014 to present the percentage of students admitting to paying someone else to undertake their work was 15.7%[.]" Zur Nicht-Wirkung von "authentischen" (also wohl auch "kompetenzorientierten") Aufgaben: "Our analysis found that assessment tasks with no, some, or all of the five authenticity factors are routinely outsourced by students." Und ein paar lukrative Marketing-Ideen, einschließlich Rabatt-Modellen.

Dass dieses Thema nicht nachdrücklicher untersucht wird, mag auch daran liegen, dass man nicht willens oder nicht fähig ist, Licht ins Dunkel zu bringen. Die Incentives stehen ja auch gegen einen: Schreibkram mit der Rechtsabteilung und den gegnerischen Anwält*innen, vielleicht sogar ein Auftritt vor Gericht (der ist, wie man so hört, keine Phantasie); alles das mit zweifelhaftem Erfolg, wie einem prominente Fälle plastisch vor Augen führen. Und für die Institution sind die vordringlichen (und belohnten!) Ziele, Studienabbrüche zu vermeiden, Regelstudienzeiten einzuhalten und die Reputation zu wahren oder möglichst sogar auszubauen.

Sicherheitshalber zitiere ich mein Posting von vorgestern: "Und natürlich kann man auch anders Aufsicht führen, zum Beispiel, indem man die Arbeiten von Studierenden über mehrere Monate betreut."

[Nachtrag: Ich hatte ganz zu erwähnen vergessen, dass es zu jedem erdenklichen Thema mindestens ein Journal gibt. Hier das International Journal for Educational Integrity.]

[Nachtrag: Jahrelang unbemerkt haben von Studierenden gedungene Expert*innen an einem verpflichtenden Simulationsspiel teilgenommen. So viel zum Stichwort "kompetenzorientierte Prüfungen".]

Kommentar vom 2020-04-24, 23:20

Der Kasten Bier ist halt kein Geschäftsmodell! :) (Jedenfalls gab es das in meiner Schulklasse: Kasten Bier gegen Hausaufsatz, der im Übrigen mit 3 benotet wurde, obwohl die Schreiberin nicht viel anderes geschrieben hatte als im eigenen Aufsatz, der mit 1 benotet wurde ...)

Kommentar vom 2020-04-25, 00:05

Vor allem, hilft es wirklich in den MINT-Fächern? Sie würden einen Bewerber für einen Promotionsplatz doch nicht ausschließlich aufgrund seiner tollen Masterarbeits-Note zum Gespräch einladen? Und wenn doch, würde Ihnen beim Interview oder Probeaufgaben-Lösen (oder ist das nicht überall üblich?) ziemlich schnell auffallen, was der Bewerber kann oder wie er sich desavouiert. :-) Wie in jedem komplexen System werden die Testmethoden den Schlawinereien angepasst. Oder es ist ... egal ... Und in den Sozial-, Manitu- ;-) & Kulturwissenschaften? Wenn Habitus, soziales Kapital und Nähe zu Geld"quellen" mehr zählen als das Geschreibsel, was man als Abschlussarbeit präsentiert, sind diese Zulieferdienste eher ein gute Verdienstmöglichkeit für diejenigen Aufsteigerabsolventen mir prekären Lebensbedingungen, denen es an Netzwerken in die Welt der Muse(e)n oder auch Ministerialbüros mangelt. Desillusioniere ich Sie gerade? Grüße Baba Yaga

Kommentar vom 2020-04-25, 00:41

Danke für diese Einsichten. Das sind ja schon erstaunlich hohe Zahlen.
Ich denke, dass dies Verhalten in den Staaten als kriminell eingestuft wird und von daher dort staatlich verfolgt werden sollte.
Ich würde gerne mal wissen, welches Strafmaß einen Studenten in DE treffen könnte, wenn er seine Hausarbeiten mit contract cheating bearbeiten lässt. Könnte ein Ausschluss vom Studium die Folge sein?
Hausarbeiten selber abschreiben müsste ja ein ähnliches Vergehen sein - aber bei wem ist das im Studium nie vorgekommen?
Die "contract cheating" bezieht sich hier nur auf Hausaufgaben, aber nicht auf Prüfungen - oder gibt es da auch einen kriminellen Markt?

Wer "contract cheating" intensiv für Hausaufgaben nutzt, cheated sich selbst, weil er sich selbst die Chance nimmt, sein Können regelmäßig zu überprüfen und zu festigen, und einen Motivationserfolg daraus zu ziehen. These: "Cheater" müssten unzufriedener mit ihrem Studium sein.
Gruß, MartinH

Kommentar vom 2020-04-25, 10:14

@Баба-яга: Es hilft, den Abschluss zu bekommen. Im Job tippt man dann ja sowieso nur noch etwas in Excel ein. – Ich habe (noch FH-Standard!) keine Promovierenden, sehe aber in Berufungskommissionen, wie kuschelweich gefragt wird und wie peinliche Antworten schon auf jener Ebene kommen. – Ich bin seit Jahren so was von desillusioniert. J.L.

Kommentar vom 2020-04-25, 10:52

@MartinH: Normalerweise sehen die Prüfungsordnungen nur vor, dass der eine betroffene Prüfungsversuch als "nicht bestanden" gewertet wird. – Je nach Lesart bezieht sich "contract cheating" auch auf das, was ich oben zu kryptisch als "just in time" bezeichnet habe, also die live-Unterstützung oder das Double in Prüfungen. Dass es auch dafür einen Markt gibt, ist inoffiziell bekannt, aber wenig erforscht. Publik wird dieses Phänomen immer wieder bei Führerscheinprüfungen. J.L.

Kommentar vom 2020-04-25, 18:55

Desillusioniert ;-) und Connaisseur der Statistik und deren Limitationen ... genau, gerade das macht die Kommunikation mit Ihnen so ungemein erbaulich. Eine Gesellschaft mittelmäßiger Menschen, wie mir, kann idealistischen Normen nicht genügen. Und an der FH, den FHs, so schrieben Sie mal, würden Professuren händeringend besetzt; da will man doch niemanden mit zu harschen Bemerkungen verscheuchen, oder ... Hier würden diverse Lieder von Wladimir Wyssozki passen. :-)

Kommentar vom 2020-04-26, 12:31

Desillusionierung im späteren Lebensalter kluger Menschen sollte zur Naturkonstante deklariert werden. :-)

Kommentar vom 2020-04-26, 12:41

Aber bei Ihnen schimmert immer noch der Charme durch, wie an einem bedeckten Morgen am Strand die Sonne oder eben wie in diesem Gedicht der Gedichte (in dem ich z. B. einen Teil meiner Jugend verbrachte) über die Illusionen einer gewissen Johanna, Pulitzer-prämiert. http://www.bobdylan.com/songs/visions-johanna/ Dass Bob Dylan nicht für den dafür anberaumten Dynamitpreis (Nobelpreis 2015) angetreten ist, lässt dann auch wieder Illusionen aufkommen ... oder?

Kommentar vom 2020-04-29, 10:08

Hier ist ein guter Foliensatz zum Thema “Detecting and addressing contract cheating in online assessment” aus der australischen Hochschulcommunity: http://philldawson.com/ta-cheating/ (M. M.)

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