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Mathe-Gewerkschaft tut not

2020-06-30 21:51

Beim Lesen der aktuellen Meldung zu den heraufgesetzten Abi-Noten in Bremen kommt mir der Gedanke, dass man eine Mathe-Gewerkschaft gründen könnte: Wenn sich alle einig sind, nicht im Akkordtempo an die Sache ranzugehen, ist das Ministerium gezwungen, die Noten heraufzusetzen. Streikbrecher (die mit 14 oder 15 Punkten) werden durch effektiven Punktabzug bestraft, weil sie ja nicht plötzlich 16 oder 17 Punkte bekommen. (Oder verstehe ich da das Punkteheraufsetzen falsch?)

Leider habe ich noch nirgendwo einen Hinweis darauf gesehen, was die Aufgaben waren. Hoffentlich gelten die politischen Forderungen nach OER und Open Access nicht nur für die Produkte prekarisierter Hochschulmitarbeiter*innen. Es gibt zwar die zentrale Sammlung beim IQB (bei der ich nichts von einer CC-Lizenz sehe), aber was die Länder (hier Bremen) daraus machen, bleibt mir unklar.

Zum entsprechenden Artikel auf SPON kommentiert Christian-86tfRMGZg: "Viele Jahre in Bremen als Mathenachhilfelehrer unterwegs gewesen [...] Statt die Theorie zu verstehen, wurden Rezepte auswendig gelernt. Doch selbst die Durchführung der Rezepte gelang nicht [...] Die Bremer Abituraufgaben kamen dem auch noch entgegen, indem Aufgabenformulierungen immer nach dem gleichen Muster formuliert waren, sodass man nichts verstehen musste, sondern bloß Rezepte bestimmten Formulierungen zuordnen musste." – Das finde ich sehr spannend zu hören, weil es meinen Befürchtungen zur zwangsläufig simulierten, weil praktisch unmöglichen "Kompetenzorientierung" entspricht.

Kommentar vom 2020-06-30, 23:40

Weiß jemand, ob man die Einsicht in Abi-Aufgaben irgendwo beantragen kann?
Viele Grüße, Frank

Kommentar vom 2020-07-01, 10:53

@Frank: Beantragen schon. Aber mit wenig Erfolg. J.L.

Kommentar vom 2020-07-02, 13:18

In Niedersachsen sind die Abituraufgaben neuerdings öffentlich zugänglich: https://za-aufgaben.nibis.de/

Kommentar vom 2020-07-02, 15:21

@Kommentator(in) von 13:18: Ah, spannend. Da sind ja wieder wahre Perlen der zwanghaften Kompetenzorientierungs-Praxisrelevanz dabei, etwa die Gartenschau "Mathematischer Garten" oder die Frage, wann die Spitze des Flugzeugs hinter dem postmodernen Gebäude des Flughafens auftaucht. J.L.

Kommentar vom 2020-07-03, 21:41

"[D]ass es sich weniger um ein Corona-bedingtes Phänomen handelt, als vielmehr um die Schwere der Aufgaben" aus dem Kommuniqué der Hansestadt. Nun, sprachlich ist das schon mal wirklich "grenzwertig". Wenn man weiß, dass es in den anderen Jahren genauso war, wieso verweist man diffus auf Corona? Und möglicherweise war der Covid-19-Stress doch ausschlaggebend für die schlechteren Noten? Nun also ein Bonus. Ist aber nicht schlecht, die Noten raufzusetzen, Bremer Kiddies sind ja wohl nicht intrinsisch weniger schlau oder mathematisch begabt - möglicherweise rocken die Vorkurse und Brückenkurse an einer mathedidaktisch engagierten Uni die Eleven raus. Und manch eine/r kann im Mathelernzentrum (Haben Sie an Ihrer FH das auch?) seine Bremer Defizite des Malen nach Zahlen, Analysis-Meditation und Integral-Reigen kompensieren. :-)

Kommentar vom 2020-07-05, 16:16

Soll das eigentlich - hoffentlich - eine Gewerkschaft für die Mathematik 👽🔮💎🎼 als solche sein, 🦥 diejenige, die Jahrtausende, Jahrmillionen in Frieden ⛱ war in den Sternen und den Wellen, und mitnichten auf die Entdeckung durch proteinhafte Makrostrukturen 🧙🏻‍♂️🧖🏾🤡👻 gewartet hat und nun ertragen muss, wie sie malträtiert, vernetzt und beleidigt wird? 🎢

Kommentar vom 2020-07-05, 16:38

@Kommentator(in) von 16:16: Das hört sich eher nach einem Artenschutzverein als nach einer Gewerkschaft an. Ich bin außerdem der (nichtplatonischen) Auffassung, dass Mathematik erfunden statt entdeckt wird. J.L.

Kommentar vom 2020-07-05, 20:55

Nichts Neues unter der Sonne :-) : Phys. Bl. 37 (1981) Nr. 9, Folgerungen aus dem Studieneingangstest Physik 1978, Vorschlage zum Abbau der festgestellten Defizite. Von Friedrich Krause, Wuppertal, und Anastasia Reiners-Logothetidou, Bonn. [@Kommentator(in): Waren die Bemerkung danach und das Namenskürzel für die Öffentlichkeit gedacht? Ich bin mir unsicher. J.L.]

Kommentar vom 2020-07-05, 22:03

@Kommentator(in) von 20:55: Inhaltlich schon etwas Neues unter der Sonne. Der Vorkurs zum Physikstudium, den ich in jener Ära pflichtschuldig besucht hatte, ging am ersten Tag mit Gradient, Divergenz und Rotation los (was ich schon Jahre vorher konnte). Heute fängt man mit Bruchrechnen an. J.L.

Kommentar vom 2020-07-06, 10:53

Artenschutzverein! :-) Köstlich! Inhaltlich wird man sich immer den aktuellen Defiziten anpassen, aber das Lamento an/in sich ist doch ähnlich, oder?

Kommentar vom 2020-07-06, 10:56

Gradient, Divergenz und Rotation - oder Parallaxe und Hertzsprung-Russell-Diagramm klingen vordergründig nach ganz anderer Pubertät als die typisch metropolitane mit Nachtleben und sozialem Druck, Revolte zu spielen & an Dauerdemos gegen arbiträre Erweiterungen des industriellen "Fortschritts" teilzunehmen. Kennt wer Studien zu Pubertätsverläufe von Mathematikern? Gab an Ihrem Gymmi 'nen Matheclub für besonders Begabte? (Wie war damals eigentlich die (außer)schulische Förderung von Mathe-Cracks? Pathologisierende Dispositive wie diejenigen gegenüber matheaffinen Mädchen in den 80ern mussten Jungs wohl weniger erleiden?) Gab es zwischen Ihnen & den matheaffinen Schulfreunden eigentlich schon eine positive Nerd-Identität? :-) Die Mühsal der Sisyphus-Arbeit, Studierende darin zu unterrichten, was man selber mit Leichtigkeit/Passion/Vergnügen lernte, jahrzehntelang, das ist echte Maloche. Das J.L.-Video zu Divergenz ist zufällig eines "meiner" präferierten. :-)

Kommentar vom 2020-07-06, 11:02

@Kommentator(in) von 10:53: Nur, dass die Defizite immer umfassender werden. (Darf man heute noch von "Defiziten" sprechen? Ich glaube, das ist nicht mehr im Overton-Fenster.) J.L.

Kommentar vom 2020-07-06, 11:27

@Kommentator(in) von 10:56: Als Nerd ist man halt sehr einsam, war es vor allem seinerzeit, ohne Web. – Matheclub: Nope. Ich durfte hin und wieder mal samstagmittags mit dem Apple II und dem Z80-Kontron in der Physiksammlung arbeiten. Mit einem / für einen Lehrer hatte ich mal ein Spektrometer auf Rechnersteuerung umgerüstet; selbiger Lehrer hat mich im örtlichen Buchladen bei der Lektüre von Blochinzews Quantenmechanik gesehen und mir das gekauft. Das war dann aber so ungefähr alles in der Schule. Es ist nicht mal jemand drauf gekommen, mich mit der Nase auf "Jugend forscht" zu stoßen. Allerdings muss ich sagen, dass ich fachlich hervorragende Lehrer in Mathe und Deutsch hatte. J.L.

Kommentar vom 2020-07-06, 16:31

:-) Danke für die Eindrücke. Ihre Lektüre war schon wirklich außergewöhnlich. Ein Lehrer, der einen – wenn auch nur ein bisschen – unterstützt, kann ausschlaggebend & unendlich wichtig sein fürs Weitermachen. Irgendwie kann ich nicht umhin zu erwarten, dass ein Teil der Einsamkeit auch "frei" gewählt war, die Faszination für Erfindungen der Mathematik oder Entdeckungen derselben, ;-) sind bei entsprechender Begabung vermutlich viel faszinierender als profan pubertierendes Miteinander von Menschlingen? Mitschüler sind in der ambivalenten Situation von Neid & Herdenverhalten gegenüber besonders begabten "Sonderlingen"; manche Mädchen/Jungs aber haben ein gewisses Faible für diese Freundschaften mit sehr klugen Mitschülern & Außenseitern. [Die Erwähnung schlimmer persönlicher Erlebnisse hier gestrichen, J.L.] Pubertät ist eben eine vulnerable Zeit. Was für eine Erleichterung muss das für Sie gewesen sein, an die Uni zu kommen.

Kommentar vom 2020-07-06, 17:28

@Kommentator(in) von 16:31: Das Weitermachen war zu dem Zeitpunkt längst keine Frage mehr, denn ich hatte schon Jahre davor die fehlgeleitete Vorstellung entwickelt, dass ich mal in der Astrophysik forschen würde. Als Kind ist man halt soooo naiv. Ich hätte realistisch bleiben und den Berufswunsch Lokomotivführer haben sollen. – Die Uni war in der Tat eine riesige Befreiung. J.L.

Kommentar vom 2020-07-08, 11:46

Was war denn die Schranke damals in der Astrophysik? 🎛📡💳🛸🛰 Mich interessiert das, andere sicher auch, ;-) und wir machen hier seit paar Monaten sozusagen eine Art kollektiver Biographiearbeit 🐚 & Selbsterfahrung, 🕵🏽‍♀️🧑🏽‍🎓 🧑🏾‍🔧 oder? Das sieht meine ab & an mitlesende Analytiker-Freundin zumindest so 🧚🏽‍♂️👽 (gewagte Hypothese? 🌸) Es wäre dann ein guter Moment für eine 🧔🏼Autobiographie, wenn Sie gewisse Erfahrungen unter Neurodiversität subsumieren, das ist en vogue und kann für aktuelle 🦔🦥🧚🏽‍♂️🦍🐬🦙 sehr hilfreich sein. :-) Gerade ward wieder im Studentenwerknewsletter ein Webinar für Autismus im Studium annonciert. Salut 🌺 i84s

Kommentar vom 2020-07-08, 12:30

@Kommentator(in) von 11:46: Der Karriereknick war, dass ich nicht zum Promovieren an eine einschlägige Uni in den USA gegangen bin. (Naiv wie ich war, wäre ich im Traum nicht darauf gekommen.) Damit war die wissenschaftliche Karriere schon aus, bevor sie angefangen hatte. – Biographiearbeit, in der Tat. J.L.

Kommentar vom 2020-07-08, 15:34

:-) OK, also mal wieder bittere Beratungsdefizite von Seiten der Uni. Oder so könnte ich mir denken, man wollte Sie in Ihrem Physik-Fachbereich einfach unbedingt dabehalten? :-) Wer weiß, ob Sie in Yankeeland "glücklich" geworden wären. GB könnte ich mir gut vorstellen. Die sonderbare elitäre Welt des MIT und der Ivy-League-Unis tut wirklich nicht jedem gut. Wurden damals Promotionsstipendien in ausreichendem Maß finanziell vom DAAD ausgestattet? Oder brauchte man das frühzeitig angelegte Aktiendepot der distinguierten Großmamam? 10.000 Euro müssen meines Wissens zumindest seit den Mitte 00ern bei Einreise in die USA als Garantie auf dem Konto sein.

Kommentar vom 2020-07-08, 15:49

@Kommentator(in) von 15:34: Zu Satz 1 und 2: Es hat einfach niemanden interessiert. Ich selbst prügele dagegen hin und wieder Studis von mir zumindest in Richtung TUM. – Absurderweise hätte mir die Studienstiftung das bezahlt; gerade das macht die unbedachte verpasste Chance so ärgerlich. – Stanford wär schon ok gewesen, vom Klima her und so; seinerzeit gingen die Mieten im Valley ja auch noch. J.L.

Kommentar vom 2020-07-09, 09:28

Der Wunsch, dass andere bessere Chancen haben als man selber, macht einen wahrlich edlen Charakter aus! :-)

Kommentar vom 2020-07-09, 09:33

Verpasste Chancen können deprimierend sein; nur weiß man eben nicht, welche Begleiterscheinungen und Folgewirkungen so eine Karriere im Ausland unter extremen Konkurrenzbedingungen und Reagans Präsidentschaft gehabt hätte. Die sozialen Verwerfungen und die Verachtung armer Menschen in den USA, die damals ab 1990 neu aufgerollt wurden, waren für viel Mitteleuropäer sehr hart zu ertragen, und man ist ja nicht nur im Labor oder am Schreibtisch! Als Gegenfolie: Deformation durch Welterfolg, der Roman "Solar" über einen weltberühmten Physiker von Ian McEwan, den vielleicht einige hier noch nicht kennen. Angeblich der erste Klimaroman. https://www.faz.net/aktuell/feuilleton/buchmesse-2010/buecher/ian-mcewan-solar-du-musst-dein-klima-aendern-11043613-p2.html

Kommentar vom 2020-07-09, 10:56

@Kommentator(in) von 09:28: Das kann aber auch nach hinten losgehen, wenn man Menschen zu etwas prügelt, das nicht "ihres" ist, nur, weil man sich selbst in ihnen verwirklichen will. J.L.

Kommentar vom 2020-07-09, 12:39

Und apropos Karriere, Sie haben doch eine beträchtliche, gerade im Bereich der Avantgarde im Bereich der Online-Lehre. :-) Die Karriere, die man macht, lässt sich besonders daran messen, ob die Popularität, die man erreicht, bei einer Zielgruppe entsteht, die einem wichtig ist. Wenn man es zusammenfassen würde, versuchen Sie, Menschen in dem zu instruieren, was für Sie das Beste im Leben war? Und wer weiß, vielleicht kriegen Sie irgendwann auch einen Asteroiden, der nach Ihnen benannt wird. ;-) Das muss so die Krönung eines Astrophysiker-Lebens sein.

Kommentar vom 2020-07-09, 12:55

@Kommentator(in) von 12:39: "Was für mich das Beste im Leben war": Das ist aber höchst subjektiv und muss nicht für andere das Beste sein. Ich muss an Janosch denken: "'Ach, das größte Glück der Erde', rief der Maulwurf, 'das kenne ich. [...] Das ist nämlich, wenn man gut hören kann.'" Quelle

Kommentar vom 2020-07-09, 15:59

Eben! Aber was muss einen am Abend die Meinung der anderen interessieren! Sie wirken in sich ruhend & öfters sogar schwer vergnügt. Auch Krtek, der "kleine Maulwurf" des tschechischen Kinderfernsehens, hat in seiner Frühphase echte dialektische Momente enthalten! ;-)

Kommentar vom 2020-07-24, 14:07

"Das kann aber auch nach hinten losgehen, wenn man Menschen zu etwas prügelt, das nicht 'ihres' ist, nur, weil man sich selbst in ihnen verwirklichen will. J.L." Dazu: Ich kann mir vorstellen, welchen Drive, welche Kraft, derjenige erfährt, der diesem Versuch von Ihnen - jemandem bei der Karriere zu helfen - verspürt. Ich hatte mal ein solches Vergnügen ganz kurz auf Facebook mit Ihnen. ;-) Es ist aufregend, wenn man aus dem beschränkten Leben, das man sich aus seinem sozialen Milieu kommend zu erträumen in der Lage ist, von jemandem weitergepuscht wird, ich habe das die letzten sieben Jahre hindurch von einer hochbegabten Freundin erfahren. Aber es ist für viele mit Mitte 20 noch nicht die richtige Zeit oder es fehlen Familie, Freunde, die unterstützen. München ist teuer. Atemtraining könnte helfen: Nichts Esoterisches, sondern der Raum, in dem man sich selber vorstellen kann, wird durch entsprechende Techniken, die man nicht in der Muckibude lernt, erweitert. Fußball geht aber auch. ;-)

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