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Tücken von OER, ein Update

2021-02-14 21:17

Vor anderthalb Jahren hatte ich bereits mal Erkenntnisse und Bedenken in einem Vortrag zusammengefasst. "Dank" Corona wollen immer mehr Leute so etwas produzieren; deshalb sind zwischenzeitlich Fragen aufgekommen, an die ich vorher nicht gedacht habe (unten nummeriert, damit man in Kommentaren leichter auf einzelne verweisen kann):

  1. Eine CC-Lizenz lässt sich nicht wieder zurücknehmen (der Die-Zahnpasta-ist-aus-der-Tube-Effekt). Wenn man also Unsinn erzählt hat oder schlecht frisiert gewesen ist: Pech gehabt, denn vom Server der Hochschule mag man das Opus löschen, aber niemandem kann man verbieten, eine Kopie weiterzuverteilen. Das ist noch unangenehmer für die Hochschule, wenn die*der Hauptakteur*in eine Person*a non grat*a wird (so geschehen bei Walter Lewin). Es kann auch passieren, dass uns viele Jahre später Sprüche einholen, über die wir uns zuerst keine Gedanken gemacht hatten. Oder Hochschulen sehen sich gar gezwungen, ihren unmöglich gewordenen Namen zu ändern, wie die BHT formerly known as B█th-Hochschule; wie ist eigentlich die Lage diesbezüglich (1, 2) in Halle-Wittenberg?
  2. Dass tote Profs weiter lehren, ist vielleicht nur eine Absurdität am Rande; aber vor allem aus Sicht der Lehrenden ohne Dauerstelle besteht die klare Gefahr, dass sie ihren eigenen Job kannibalisieren. Ist jenes Problem eigentlich schon auf dem Radar der Gewerkschaften aufgetaucht?
  3. Als Urheber*in in einer der CC-BY-Lizenzen einfach nur die Hochschule anzugeben, scheint mir in Deutschland schwierig (§ 13 UrhG). Andererseits muss nach § 93 UrhG bei einem Filmwerk nicht jeder "an einem Film mitwirkende ausübende Künstler" genannt werden. Hier besteht eine Grauzone.
  4. Die CC-Lizenzen umfassen nicht nur die schlichten Nutzungsrechte. Das ist nötig, denn es wäre komisch, wenn man ein Video von sich unter CC-Lizenz stellt, aber die Verwendung des eigenen Bilds untersagt. Ebenso gibt es in Deutschland das Recht, Entstellungen zu verbieten. Der Bereich aller solcher Rechte ist allerdings in den CC-Lizenzen einem steten Wandel unterlegen. Version 3.0: "Persönlichkeitsrechte bleiben - soweit sie bestehen - von dieser Lizenz unberührt." Version 4.0: "Urheberpersönlichkeitsrechte, wie etwa zum Schutz vor Werkentstellungen, werden durch die vorliegende Public License ebenso wenig mitlizenziert wie das Recht auf Privatheit, auf Datenschutz und/oder ähnliche Persönlichkeitsrechte; gleichwohl verzichtet der Lizenzgeber auf derlei Rechte bzw. ihre Durchsetzung, soweit dies für Ihre Ausübung der lizenzierten Rechte erforderlich und möglich ist, jedoch nicht darüber hinaus."
  5. Die verschiedenen Versionen 1.0 bis 4.0 der CC-Lizenzen sind im Zweifelsfall nicht untereinander kompatibel. Wenn man Material remixt, muss man also nicht nur auf die Kompatibilität der Klauseln BY, NC, SA achten, sondern auch auf die Versionsnummer.
  6. Sobald dafür bezahlte studentische Hilfskräft*e und andere nichtprofessorale Person*en an der Produktion beteiligt sind, muss die Hochschulleitung entscheiden, ob das Produzierte als OER freigegeben werden darf: Insbesondere könnten der Hochschule durch die Freigabe Geldeinnahmen (etwa Materialbezugsgebühren) verloren gehen oder Reputationskosten entstehen. Umgekehrt könnte es schwierig sein, in die Arbeitsverträge von studentischen Hilfskräft*en usw. zu schreiben, dass das, was sie produzieren, auf jeden Fall freizugeben ist – auf jeden Fall nicht unter CC0 (wegen der Unübertragbarkeit und Unverzichtbarkeit des Urheberrechts). [Nachtrag: Dissertation zu Arbeitnehmerurheber*innen bei zunächst noch unbekannten Nutzungsarten]
  7. Bei anderen Lizenzen (etwa als Autor*in bei einem Verlag) muss man als Urheber*in unterschreiben, dass man haftet. Dagegen schließen die CC-Lizenzen eine Haftung der*des Urheber*in weiträumig aus. Dieser Freibrief macht den Remix jeglichen CC-lizenzierten Materials zu einer Zeitbombe, weil man als Verwender*in nie weiß, ob die*der vorherige Urheber*in wirklich alle nötigen Rechte hat(te). Beispielsituation: Man remixt ein fremdes CC-lizenziertes Video und veröffentlicht das unter einer CC-Lizenz. Dann meldet sich ein*e dort prominent gefilmte Student*in, die*der nach x Jahren festgestellt hat, dass ihr*ihm dieser Auftritt peinlich ist (vielleicht bei der Bewerbung um ein politisches Amt). Aber man kann keine Freigabeerklärung der*des Student*in vorweisen, dass die Bilder benutzt werden dürfen, und die*der Urheber*in des ursprünglichen Videos sind aus gutem Grunde incommunicado. Uh-oh: In Deutschland gibt es keinen gutgläubigen Erwerb von Nutzungsrechten – will sagen, man kann sich als Kläger*in immer an die*den letzte*n in der Kette der (vermeintlichen) Nutzungsrechte halten. Moral: Nur Material aus Quellen remixen, die man wirkungsvoll öffentlich shamen kann.
  8. [Nachtrag: Weil die CC-Lizenzen keine Markenrechte umfassen, müsste man beim Remixen das Logo und eigentlich auch den Namen der Original-Hochschule abdecken. Das fühlt sich irgendwie falsch an.]
  9. [Nachtrag: Wie hat die BY-Angabe für als OER remixte E-Assessment-Aufgabensammlungen zu erfolgen? Muss man in der Prüfung auf dem Rechner bei jeder Aufgabe die jeweilige Urheber*innenkennzeichnung einblenden?]

Kommentar vom 2021-02-19, 09:08

Klingt sehr negativ. Sind das wirklich Fragen gewesen?
1. Richtig. CC-Lizenzen kann ich nicht zurücknehmen. Das gilt so ähnlich für alle Publikationen, auch klassisch verschlossene. Non-Grata-Äußerungen sind nicht auf OER begrenzt.
2. Lehre ist mehr, als OER hinzuwerfen. Ich kenne niemanden, der/die mit meinen OER lehren möchte.
3. Warum nicht schöpferisch Mitwirkende angeben?
4. Richtig. Markenrechte sind übrigens auch ausgeschlossen. OER enthalten also vielleicht unfreie Bestandteile. Persönlich erstelle ich nur wenige Videos und remixe keine fremden.
5. Viele Lizenzversionen beinhalten ein "a later version", was den Remix minimal vereinfacht. Ich schreibe "Soweit nicht anders angegeben unterliegt das Werk...", und Nachnutzende müssen genau hinschauen, wo andere Angaben stehen. Herkunft/Historie mit den "richtigen" Angaben ist schwierig.
6. Ja, wir brauchen gute Beispiele.
7. Prüfe deine Quellen. Remixe keine Videos mit Dritten (oder prüfe).
Jens Lechtenbörger

Kommentar vom 2021-02-19, 12:31

@Jens Lechtenbörger:
"Sind das wirklich Fragen gewesen?" – Natürlich nicht, ich versuche doch immer, möglichst dramatisch klingendes Clickbait zu erfinden.
1. Wenn man Videos mit nichtoffener Lizenz auf dem eigenen Webserver oder mit der Standardlizenz auf YouTube hat, kann man die löschen, wann man will, und allen Leuten drohen, die die weiterverbreiten.
2. Ich höre immer, dass OER zum "Reuse" propagiert wird. Aber das können auch die überlauten Stimmen von wenigen sein.
3. Vom mir auch gerne alle schöpferisch Mitwirkenden angeben. Mir ging es darum, dass nicht klar ist, wer welches Recht zum Genanntwerden hat.
4. In der Tat. Dass (zumindest in CC-Version 4.0) die Markenrechte ausdrücklich ausgenommen sind (auch die der*des Urheber*in selbst!) ist ein übles U-Boot, zum Beispiel, was Logos von Unis auf den Folien angeht.
5. Bei den CC-Lizenzen ist "a later version" aber nicht vorgesehen. [Nachtrag: Nein, sondern in Version 4.0 nicht in allen Varianten der Lizenz erwähnt.] Bei GNU ist dagegen eine Option, dass man "or any later version" dazuschreibt, aber das ist natürlich gewagt: Wer weiß, was in den späteren Versionen der Lizenz drinstehen wird?
Bei 6. und 7. waren wir uns einig.
J.L.

Kommentar vom 2021-02-19, 16:48

1. Das ist richtig, lenkt aber vom Kern des Themas ab: Im Hochschulkontext werden Rechte regelmäßig an kommerzielle Verlage abgetreten. Die Arbeiten sind dann "publiziert" (oder paywalled), und das Löschen (womöglich gedruckter Zeitschriften oder Bücher) dürfte schwierig werden. Auch ohne CC-Lizenzen sind wir an diesen Kontrollverlust gewöhnt.
2. Ich würde gerne mehr OER weiternutzen. OER-Abbildungen finde ich gelegentlich bei Wikipedia, weniger im akademischen Umfeld. Da hülfe Werbung mehr als Abschreckung.
3. Richtig. Dieses Problem kennen wir von Publikationen. Mitwirkende Hilfskräfte nennen? Wo und wie?
4. Für OER empfehle ich die Trennung von Inhalt und Layout, wobei ich Logos als Teil des Layouts sehe. Ich empfehle das nicht nur, ich mache das auch so ;) Suchbegriff: emacs-reveal
5. CC BY-SA 2.0, 3.0, 4.0 erlauben "a later version". Ich habe Hoffnung. Wir gestalten unsere Zukunft auch durch (Aus-) Bildung. Vielleicht vermehrt mit OER.
Jens Lechtenbörger

Kommentar vom 2021-02-25, 12:03

Vielen Dank für diesen interessanten Beitrag, darüber hinaus mal ein manueller Pingback: Ich habe in einem Artikel für das Blog linuxnews.de auf Video und Text verwiesen: https://linuxnews.de/2021/02/die-probleme-mit-dem-freien-wissen/
Dieser Kommentar hier darf gerne unveröffentlicht bleiben.
Lennart Diener

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