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Denken tut weh

2024-08-09 13:08

Ich traue keinen Studien aus der Psychologie (ganz unten ein aktuelles Beispiel). Außer natürlich, so eine Studie bestätigt, was ich sowieso schon weiß. Macht Ihr ja auch so. Heute also The Unpleasantness of Thinking: A Meta-Analytic Review of the Association Between Mental Effort and Negative Affect.

Die Frage ist, wie das Paper ausführt, nicht soooo trivial, weil einigen Menschen geistige Anstrengung Spaß zu machen scheint, weil sie teils kulturell geschätzt wird und weil sie (zumindest theoretisch) im Bildungssystem trainiert werden sollte.

Aber der Scatterplot auf S. 10 scheint eine für psychologische Studien ungewohnt klare Sprache zu sprechen: mehr Anstrengung, schlechtere Gefühle. Allerdings sieht man in besagtem Diagramm nur die Durchschnittsergebnisse der Studien, nicht die Ergebnisse der Individuen, was ein dicker methodischer Fehler ist.

So (fragwürdig) ausgewertet, haben im Rahmen der p-Werte, die wir ja so lieben, Bildungsstand, Berufserfahrung, Alter und Gender keinen Einfluss. Allerdings wirkt ein klein bisschen, ob man aus Asien stammt (S. 10). Das wussten wir natürlich.

Es geht wohlgemerkt, wie in der Psychologie üblich, um die selbst berichteten Gefühle, aber nicht etwa um Messergebnissen vom Polygraphen. Und es ging um extrinsisch motivierte, nicht erzwungene Aufgaben. (Wobei ich nicht glaube, dass es intrinsische Motivation gibt, sondern nur introjizierte.)

[W]hy do millions of people play chess? (S. 12) fragen die Autor*innen nicht ohne Grund und vermuten, dass es auf das Gesamtpaket ankommt, in dem man für die Anstrengung am Ende vielleicht auch mal mit Pokalen, Kompetenzerleben oder Ähnlichem belohnt wird. OK, das fehlt halt bei der 4,0 im Drittversuch in Mathe, Informatik und Technischer Mechanik.

Gar nicht angesprochen werden die Risiken des Denkens. Klarermaßen ist für das Überleben und Gedeihen eines Staats im internationalen Wettbewerb nötig, dass sich einige Leute darin beim Denken anstrengen. Aber auch nicht zu viel und nicht zu viele, sonst kommen plötzlich Fragen wie die auf, was ein souveräner Rechtsstaat denn alles so ist und darf. Oder nicht ist und nicht darf. Solche subversiven Diskussionen unterminieren das Durchregieren.

Und hier noch, wie anfangs angekündigt, das aktuelle Beispiel dazu, wie toll die Psychologie forscht: Ihr erinnert Euch an die bei Elsevier erschienene Studie, dass man in hohen Räumen schlechtere Klausuren schreibt. Das stand garantiert rechts unten auf der Titelseite Eurer Lokalgazette. Lustig daran war ja, dass die (fragwürdigen) Statistiken im Artikel genau das Gegenteil besagt hatten. Aktuell steht auf der Seite des Artikels: TEMPORARY REMOVAL. Das hat Eure Lokalgazette sicher vergessen, nachzutragen. Kann schon mal passieren. Full Disclosure: Ich habe Aktien der RELX Group, weil die Hochschulbibliotheken auch weiterhin von meinen Steuern jeden teuren Mist bezahlen werden und ich mir einen Teil des Gelds zurückholen will. h-Index und Impact-Faktor regieren!

[Nachtrag: Oh, hier hat tatsächlich jemand ihren*seinen Bericht über diese, äh, Studie upgedatet.]

Kommentar vom 2024-08-09, 18:01

Kleinen (hier eher ungewöhnlichen) Tippfehler gefunden: unegwohnt
Viele Grüße, M.M. [Danke, korrigiert, J. L.]

Kommentar vom 2024-08-09, 19:58

Da Sie eine "unegwohnt klare Sprache zu sprechen" vermögen und diese in schriftlicher Form auch mal Tippfehler enthält [Jetzt korrigiert, J. L.], hat man oft das Gefühl, dass sich hier jemand Gedanken gemacht hat und das Formulieren nicht einer KI überlassen hat.
Das "Kein reales Gemälde" ist trotz KI-Umsetzung immer wieder ganz nett, weil es sonst bei Handarbeit des Autors wahrscheinlich Wochen dauern würde von Beitrag zu Beitrag.
Gruß, MartinH - der mal wieder zum Kommentieren vorbeikommt.

Kommentar vom 2024-08-09, 22:07

@MartinH: Ärgerlicher ist, dass die extra für so was eingebaute Rechtschreibprüfung in meinem Blog-Editorprogramm das sogar markiert hat. – Zu den Zeiten, als ich die c't bebildert habe, hätte ich, auch wenn die Bilder nicht Wochen gebraucht haben, für Midjourney ein Königreich gegeben. J. L.

Kommentar vom 2024-08-13, 20:21

Da war wohl der Zensor pinkeln (oder die vielbesagten Anreize sind schon bis zu den Policyschreibern durchdoktriniert worden):
"The publisher regrets that this article has been temporarily removed." - sollte es Elsevier nicht eher bereuen, dass es ein solcher Artikel es in ihre, wenn auch Online-, Ausgabe schaffen konnte? (L. F.)

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