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Daten sind Gewalt

2024-08-25 13:25

Ein aktuelles Fundstück zum Thema der Verdatung: The Limits of Data. tl;dr: Man misst und reguliert, was man auf einfache Art messen kann; selbst mit gutem Willen (und wer hat den schon?) ist das gefährlich. Diese These scheint mir zwar nicht neu, ist aber wert, hervorgehoben zu werden.

Mit den Worten des Artikels: Data is portable, which is exactly what makes it powerful. But that portability has a hidden price: to transform our understanding and observations into data, we must perform an act of decontextualization. A pile of qualitative information, in the form of thousands of written comments, for example, does not aggregate. It is unwieldy, bordering on unusable, to the administrator, the law school admissions officer, or future employer—unless it has been transformed and decontextualized. Allerdings frage ich mich bei Letzterem, ob nicht gerade durch KI dieses Problem der Unübersichtlichkeit gelöst oder gelöst (werden) wird: Man lädt die Bewerbungsdokumente in das LLM und stellt dann die Frage, ob man diese Person einstellen soll.

Classification systems decide, ahead of time, what to remember and what to forget. Dies hier sieht deshalb wie eine guter erster Schritt in Richtung Unregierbarkeit aus: Imagine a US census form where everybody simply wrote into a blank space their racial identity, in their own terms. There would be no way to aggregate this easily. Dabei fällt mir allerdings ein grundsätzlicher Konstruktionsfehler dieses Fragebogen-Items auf: Um Diskriminierung festzustellen, ist es nicht entscheidend, welcher ethnischen Identität man sich selbst zuordnet, sondern vielmehr, wie man von anderen gelesen wird.

Dies hier verstehe ich als Teil der vielgepriesenen Professionalisierung: We are asking for mechanical objectivity—that is, that a procedure be repeatable by anybody (or anybody with a given professional training), with about the same results. […] People often assume, for instance, that if you have mechanical objectivity, then you have accuracy—but these are different things. An accurate judgment gets at what really matters.

Pauschale objektive Bewertungen, so zeigt der Artikel auf, begegnen uns auf Schritt und Tritt, ob die Promillegrenze am Steuer oder die Altersgrenze für das Wahlrecht. Dabei fällt mir ein, dass ich im Supermarkt Wein (und zwar alkoholhaltigen!) kaufen kann, ohne nach meinem Ausweis gefragt zu werden. Darin zeigt sich zum einen ein Adultismus, denn Jugendliche werden am Kauf gehindert; zum anderen zeigt sich aber auch, dass ich von dem die Kasse und mich bedienenden Personal als Senior gelesen werde, was nicht zu meiner Selbstidentifikation kongruent ist – außer für die eine Viertelstunde nach dem morgendlichen Aufstehen.

Der h-Index hätte hier sehr gut als weiteres Beispiel gepasst (aber vielleicht ist der an den Philosophie-Fakultäten – noch? – kein Thema). Und die auf mannigfaltige Weise fragwürdigen (S. 84–100) Effektstärken der Bildungsforschung. Das vielleicht älteste, offensichtlichste und deshalb unsichtbarste System der Informationsreduktion durch Verdatung fehlt erst recht: Preise. Also jetzt Marktpreise (einschließlich derer für Arbeit), nicht Nobel und Oscar. Aber letztere auch.

Sehr löblich, beim Bewerten studentischer Arbeiten pauschale Quantifizierungen zu vermeiden: If a paper is trying to precisely explain a bit of Aristotle, I can assess it for its argumentative rigor. If one student wants be a journalist, I can focus on their writing quality. [usw.] Aber was macht man, wenn man nicht an einer Philosophie-Fakultät lehrt und der Großteil der Student*innen das Ziel hat, einfach nur zu bestehen? Den Abschluss erlangt zu haben, ist der entscheidende Datenpunkt.

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