Home | Lehre | Videos | Texte | Vorträge | Software | Person | Impressum, Datenschutzerklärung | Blog RSS

Die Blog-Postings sind Kommentare im Sinne von § 6 Abs. 1 MStV. Der Verfasser ist Jörn Loviscach, falls jeweils nicht anders angegeben. Die Blog-Postings könnten Kraftausdrücke, potenziell verstörende Tatsachenbehauptungen und/oder Darstellungen von Stereotypen enthalten. Die Beiträge der vergangenen Wochen werden als Bestandteil der Internet-Geschichte in ihrer ursprünglichen Form gezeigt. Menschliche Autor*innen können unzutreffende Informationen über Personen, Orte oder Fakten liefern.

vorheriger | Gesamtliste | jüngste | nächster

Keine Informatik in der Schule

2022-09-10 21:55

Oh, dachte ich, schön, da hat der Stifterverband mal eine Überprüfung der Informatik-Kompetenzen deutscher Schüler*innen vorgenommen. Aber ach.

"[G]reifen wir auf Messwerte zu ICT-Kompetenzen […] im Nationalen Bildungspanel zurück. […] Beispiele hierfür wären das korrekte Ablegen von verschiedenen Dateitypen, zielgerichtetes Suchen im Internet oder Handlungswissen zu Textverarbeitungsprogrammen" (S. 4) – Ja, so haben wir uns "Informatik" (mit Anführungszeichen) in der Schule immer schon vorgestellt.

Die Dokumentation des Ganzen ist für mich kaum überschaubar. Falls ich hier in "Information on Competence Tests (more)" mit der Datei "com_ic_2015.pdf" das Richtige gefunden haben sollte, geht es um Sachen wie "Peter wants to save a picture in this image processing application in the TIFF format. How does he do that?" (S.  5)

Solche Fragen können sich wohl nur alte weiße Männer ausdenken. Handlungsorientierte Aufgaben zur ICT-Kompetenz mit Lebensweltbezug sollten dagegen so aussehen: Mit welchen der folgenden Moves gehst du auf TikTok viral? Mit welchen der folgenden Outfits gehst du auf Insta viral? Was ist der Cheat-Code in GTA 5 für Unverwundbarkeit?

Ich finde nichts dazu, worin der Anreiz bestehen soll, die Fragen überhaupt oder gar mit Anstrengung zu bearbeiten. Außerdem finde ich nichts dazu, ob die SuS die Fragen überhaupt sprachlich verstehen.

Die plakative Angabe der Ergebnisse: "[W]obei die Daten so standardisiert wurden, dass der Wert 0 dem Durchschnittswert ICT-Kompetenzen aller SuS in der 6. Klasse entspricht." (S. 13, nun wieder beim Stifterverband) Und was bedeutet der Wert 1? Ist das die Standardabweichung der Ergebnisse der 6. Klasse? Oder der 9. Klasse? Oder wasauchimmer? Natürlich gibts keine Fehlerbalken in den Diagrammen (und zwar gefälligst Box & Whisker für die Verteilung, nicht Balken für den sicherlich winzigen Standardfehler).

Und dann die grundsätzliche Naivität solcher Empfehlungen, irgendwelche Fächer einzuführen:

Erstens: Was kommuniziert man, wenn man ein Pflichtfach Informatik (oder "Informatik") einführt? – Dass niemand Bock auf Informatik hat und deshalb dazu gezwungen werden muss! Gibt es ein Pflichtfach "Die Spieler (m) der ersten Bundesliga und ihre Gehälter", ein Pflichtfach "Schminken" oder ein Pflichtfach "Micro-Elektromobilität zu zweit im Park"? Warum bloß nicht? Jedes Pflichtfach trägt das Kainsmal der Fremdbestimmung.

Zweitens: Die SuS durch die Schule zu Interesse anregen? Das klappt ja bei Mathe und Physik seit Jahrzehnten suuuuper! Aber auch anderswo. Ich erinnere mich an einen Musiklehrer, bei dem wir ohne Vorwarnung auswendig vor der Klasse Strophen seines Wanderlieder-Potpourris vorsingen mussten. Unbegreiflicherweise hat er – trotz allergrößter Bemühungen seinerseits – meine Liebe zur Musik nicht ruinieren können. Ohne Einschränkung erfolgreich waren dagegen meine Sportlehrer*innen. Der Tag, an dem ich Sport abwählen konnte, war für mich so ein Feiertag, wie es für meine Student*innen der Tag der letzten Mathematik-Prüfung sein muss.

Drittens: Ausgerechnet Informatik x Jahre im Voraus auf Vorrat lernen. Wenn es denn überhaupt wirklich Informatik wäre. Man lernt die berüchtigte "if-Schleife" in Turbo Pascal; aber was man später braucht, ist Prompt Writing. Nach derzeitigem Stand.

Kommentar vom 2022-09-10, 23:37

Das mit dem Singen hat mein Musiklehrer schlauer gemacht: Wer in den Schulchor eintrat, der musste nicht vor der Klasse vorsingen. Stattdessen ging er dann, während alle gesungen haben, durch die Reihen und hat das rausgehört. Deswegen waren fast alle im Schulchor. Ich nicht. 5 Minuten Blamage pro Schuljahr ersetzt 1 Wochenstunde Chor.
Wir mussten allerdings Blockflöte spielen. Das schule das musikalische Gehör, hieß es. Ausgerechnet bei einem Instrument, das quietscht, wenn man falsch greift. Das hat mich erfolgreich von der Musik abgehalten. Das wäre bei einem Klavier/Keyboard sicher anders gewesen.

Prompt Writing: Man muss doch trotzdem den Output verstehen können. Bei den Bildern eben z.B. Bildkomposition und Farbenlehre. Wenn man nicht versteht, was ein gutes Bild ausmacht, dann kann auch keinen guten Prompt erstellen und muss hoffen, dass die KI von den guten Beispielen gelernt hat. Trotzdem werden die Leute natürlich glauben, dass sie so die Künstler einsparen können.
M.K.

Kommentar vom 2022-09-11, 00:24

@M.K.: Aus dem Bauch heraus würde ich sagen, dass Stable Diffusion & Co. das Großeganze wie Bildkomposition und Farbzusammenstellung schon sehr gut draufhaben und vielmehr bei den auch für die*den Lai*in offensichtlichen Details Lücken haben (zermatschte Gesichter, unlesbarer Text usw.). J. L.

Kommentar vom 2022-09-11, 01:09

Ich frage mich, was denn "korrekte[s] Ablegen von verschiedenen Dateitypen" überhaupt sein soll? Ablegen von Dateitypen?

Kommentar vom 2022-09-11, 10:47

Vielleicht sollte hiermit begonnen werden?
https://www.heise.de/news/Gruenes-Programmieren-C-und-Rust-energieeffizient-Python-und-Perl-Schlusslicht-7259319.html
Python ist mehr als 70x langsamer und hungriger als andere Sprachen. Ich halte Python in der Praxis sogar für teilweise 1000x langsamer und energieverschwenderischer als die schnellsten Sprachen der C-Familie. Wie auch immer, es sollte klar sein, dass Python nicht für die rechenintensivsten Operationen eingesetzt werden sollte. In der Realität aber wird mit Python genau diese Energie und Zeiternichtung zelebriert.
Ach ja, was ist es noch gleich, GPU- oder NVIDIA-Computing? Für die "Haltung" bitte eine AMD-GPU in der nächsten KI einsetzen, und. falls das klappt. bitte nicht weiter nachfragen. ob man die GPU zusätzlich zu seiner CPU für den Fall auch tatsächlich gebraucht hätte ...

Kommentar vom 2022-09-11, 11:36

@Kommentator*in von 01:09: Wer auch immer das geschrieben hat, hat in der Tat den Kompetenztest in puncto Sprache nicht bestanden. J. L.

Kommentar vom 2022-09-11, 11:42

@Kommentator*in von 11:36: Und dann die Stapel von Servern, die in den Kellern der Hochschulen (wo käme man hin, wenn man die Server elastisch in der Cloud mietete?!?) unter dem PHP von ILIAS und Moodle ächzen. – Das mit Python muss ich aber relativieren: Wenn Python per se langsam wäre, würden ja nicht gefühlt 99 % der KI-Forschungsarbeiten damit gemacht. Man müsste "nur" dafür sorgen, dass die Leute keine for-Schleifen in Python schreiben, sondern die Bibliotheken vernünftig nutzen. J. L.

Kommentar vom 2022-09-11, 12:59

@J.L.: Ich habe den Eindruck, dass gerade Stable Diffusion sich schwer tut, von der Vorlage abzuweichen. Wenn die Vorlage gut ist, dann passt das schon, aber man kann dann nichts wirklich Neues schaffen.
Es hat gerade ein Bild von Midjourney bei einem Kunst-Wettbewerb gewonnen und da wurde argumentiert, dass die artistische Vision und Bildkomposition schon noch vom Menschen käme.
Python: Doch, Python ist per se recht langsam. Die Lösung dafür ist, dass man die Bibliotheken (z.B. numpy) in anderen Sprachen programmiert.
M.K.

Kommentar vom 2022-09-11, 13:25

@M.K.: "Nichts wirklich Neues" ist ein gravierender Denkfehler. Kunst ist hauptsächlich Klauen – zum Beispiel von anderen Kulturen – und Remixen. Die Maschine ist da klar im Vorteil, weil sie viel mehr gesehen hat, als ein Mensch zu Lebzeiten jemals wahrnehmen könnte. (Was soll also "die" Vorlage sein?) Und in der KI kann man das "Chaos" aufdrehen. Das meiste, was wir in den Medien sehen, sind aber sowieso Gebrauchsillustrationen von der Stange. – Python: Das ist kein Argument, weil Normalsterbliche weder die Bibliotheken für Python noch die für C++ schreiben, sondern die als Black Box benutzen. Vielmehr gilt: Know your tools! Man schreibt einfach keine aufwändigen for-Schleifen in Python. J. L.

Kommentar vom 2022-09-11, 22:28

@J.L.: "Nichts wirklich Neues": Was ich meine ist, dass man z.B. Teddybären keine Ohrringe geben kann, weil er halt nicht weiß, dass Teddybären Ohren haben und es auch keine Vorlagen dafür gibt. Da ist nichts mit Remixen.
Python: Mein Argument ist, dass die Leute, die z.B. numpy oder tensorflow geschrieben haben, deswegen eine andere Sprache benutzt haben, weil Python dafür zu langsam ist. Der Grund ist nicht, dass die Entwickler nicht wussten, wie man effizienten Python-Code schreibt. Ist ein Programm denn überhaupt ein Python-Programm, wenn 90% des Codes (in Form von Bibliotheken) in C++ geschrieben wurde?
M.K.

Kommentar vom 2022-09-12, 10:25

@M.K.: Ja, es fehlt noch an einigem Weltwissen, zum Beispiel, dass Teddybären Ohrringe nicht am Fuß und nicht um den Bauch tragen. Es reicht nicht, nur von Bildern zu lernen; sicher bastelt schon jemand daran, ein großes Sprachmodell dranzukleben. Notfalls kann man schon jetzt eine Skizze einspeisen. – Python: Für mich kommt es bei der Programmiersprache darauf an, was die Programmierer*in sieht und tut, nicht, was im Hintergrund passiert. Sonst wären x86-Opcodes die verbreitetste Programmiersprache? J. L.

Neuer Kommentar

0 Zeichen von maximal 1000

Ich bin die*der alleinige Autor*in dieses Kommentars und räume dem Betreiber dieser Website das unentgeltliche, nichtausschließliche, räumlich und zeitlich unbegrenzte Recht ein, diesen Kommentar auf dieser Webseite samt Angabe von Datum und Uhrzeit zu veröffentlichen. Dieser Kommentar entspricht geltendem Recht, insbesondere in Bezug auf Urheberrecht, Datenschutzrecht, Markenrecht und Persönlichkeitsrecht. Wenn der Kommentar mit einer Urheberbezeichnung (zum Beispiel meinem Namen) versehen werden soll, habe ich auch diese in das Kommentar-Textfeld eingegeben. Ich bin damit einverstanden, dass der Betreiber der Webseite Kommentare zur Veröffentlichung auswählt und sinngemäß oder zur Wahrung von Rechten Dritter kürzt.